Dunkles Licht
Lynch … ich meine, wart Ihr bei den Marschierern mit dabei?« Das war so nahe daran, ihn zu fragen, ob er ein Mörder war, wie sie es wagte.
Seine wieselhafte Nase zuckte. »Marschierer? Gestern Abend, meinst du? Nein. Ich war auf Schloss Norcaster und bin meinen Pflichten nachgegangen. Seine Lordschaft hat heute Morgen die Nachricht von der Katastrophe erfahren.« Er zeigte zu einer kleinen Gruppe Reiter auf der anderen Seite der Ruinen hinüber. Sam befand sich unter ihnen. »Er ist der Lord Lieutenant von Angleshire, vergiss das nicht! Er wird dem Kronrat von dieser Tragödie berichten müssen.«
In dem der edle Graf selbst Mitglied war. Er sollte morgen an einer Versammlung teilnehmen, auf welcher er um das Leben seines »Verwandten« Rollo Woodbridge bitten sollte. Oder? Konnte eine Kuh fliegen?
Als sie nichts sagte, rieb Fage noch mehr Salz in die Wunden. »Seine Lordschaft wird zweifelsohne besondere Gebete in allen Kirchen der Grafschaft anordnen. Er könnte vielleicht sogar die Steuern des Guts fürs kommende Jahr erlassen oder den Wiederaufbau unterstützen.«
Warum sollte er Maddy das erzählen? Oh ja, natürlich. Als ihr die volle Bedeutung der Intrige klar wurde, verspürte Maddy ein starkes Verlangen, sich über Pater Fage zu übergeben, nur um dieses hinterhältige Glitzern aus seinem Auge zu wischen. Was hatten ihm die Woodbridges je angetan, dass er so glücklich über ihren schrecklichen Tod sein sollte?
»Ist das die rechte Zeit, um über Steuern zu sprechen, Pater?«
»Vielleicht nicht. Dann überlasse ich dich deinen Gebeten.« Er fuhr herum und stolzierte davon. Das Bemühen, ein lautes Gelächter zu unterdrücken, musste ihn überkommen haben.
Maddy dachte kurz an Rache und verwarf den Gedanken als ebenso böse wie ungerechtfertigt. Fage war ein Nichts, ein bloßer Speichellecker. Der richtige Massenmörder war Osborn, Graf Uptree von Norcaster.
Sie mied den Bereich der Kapelle und musterte stattdessen die Bäume, wobei sie sich überlegte, welche überleben würden und welche als unsicher gefällt werden müssten. Sie waren alte Freunde, denn sie war in ihrer Kindheit auf jeden einzelnen von ihnen geklettert. Neunzehn Menschen auf einen Streich. Rafe Dampier hatte sich selbst übertroffen.
Donnernder Hufschlag kündete das Nahen des Erzschurken persönlich an. Anders als alle, die sie an diesem Morgen zu Gesicht bekommen hatte, zeigte Graf Uptree keinerlei Rußspuren. Kein Barthaar stand nicht an seinem Platz. Kleidung und Edelsteine funkelten. Sie mussten ein Vermögen gekostet haben. Sein Pferd ganz bestimmt.
Er zog die Zügel und blickte erwartungsvoll herab. Vor einem Grafen nicht zu knicksen, wäre eine Ausrede für ihn, sie auspeitschen zu lassen. Sie knickste.
»Dies ist in der Tat ein trauriger Tag für uns alle, Meisterin Stroud. Deine Eltern waren weit und breit respektiert.«
»Die Worte Eurer Lordschaft sind zu freundlich.«
»Ich schicke einige Männer herüber, die beim Aufräumen helfen sollen. Ich habe deinem Gatten versprochen, Ken Kennard als Aufseher einzusetzen. Er ist ein fähiger und erfahrener Verwalter, der sich um alles kümmern kann … in der Zwischenzeit.«
Bis wann?
»Eure Lordschaft sind zu freundlich. Ich hoffe, die traurige Nachricht wird an meinen Bruder weitergegeben?«
»Ah, ja«, sagte Osborn, Lord Uptree. »Euer Bruder …«
»Ein Verwandter von Euch, Lord.«
»Möglich, obwohl die Mutter Eures Gatten verschiedene Geschichten darüber erzählt hat.«
Sie führten beide ein Wortgefecht, aber dann begegneten sich ihre Blicke, und sie erkannte die Wahrheit: Sie war eine Ketzerin, und er war ein Mörder.
»Dein Bruder ist der Ketzerei angeklagt, Meisterin Stroud. Durch diese Tragödie wird alles anders. Das musst du einsehen.«
Was heißen sollte, dass Uptrees Gott offenkundig den Rest ihrer Familie hingerichtet hatte, und zwar so, wie Ketzer starben. Daher konnte der edle Lord jetzt unmöglich eine familiäre Beziehung zu dem Gefangenen in Schweinetrog anerkennen. Was gäbe das für einen Skandal! Nein, Rollo Woodbridge musste schlicht dasselbe Schicksal erleiden wie seine Eltern und Brüder, aber gebunden an einen Pfahl auf einem öffentlichen Platz, damit die Leute auch etwas zu sehen bekämen.
Und wenn Maddy deswegen Lärm schlagen wollte, dann könnte sie gut und gern danebenstehen.
Bei ihrer ersten Begegnung mit Uptree vor zwei Tagen hatte sie ihn als jemanden erlebt, der Macht ausstrahlte, und er hatte seitdem nichts von
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