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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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er mich bereits von der anderen Straßenseite bei Red beobachtet. Wir waren uns noch nie begegnet, aber ich wusste von ihm. An der Seite des Hauses, angebunden an ein Stück grober Wäscheleine, die sich mehrere Male um seine Beine gewickelt hatte, bellte der Hund vor sich hin.
    »Wollen Sie vielleicht mal kurz rauskommen, Bob?«, fragte ich, auch wenn das augenscheinlich mit Abstand das Letzte war, was er tun wollte. Was mich betraf, war ich müde, verdammt gereizt und hatte, meinte ich, erheblich wichtigere Dinge zu tun. Sprüche wie »Oder ich kann auch reinkommen und
Sie holen« drängten ungebeten an die Oberfläche meines Wachbewusstseins auf.
    Schließlich kam er heraus, eine Hand noch immer auf der Klinke der Fliegentür. Das Zerrbild einer Art von Sonntagsstaat: eine Hose, die mal der untere Teil eines dunkelblauen Anzugs gewesen war, dazu ein weißes Hemd mit Stellen, die so fadenscheinig waren, dass sie wie Fenster auf eine blass rosafarbene Welt blickten. Eine kleine Frau oder ein Mädchen stand im Haus, dicht hinter der Tür, und linste nach draußen wie Bob zuvor. Ich sagte ihm, ich sei wegen einer Beschwerde hier, und worin die Beschwerde bestand.
    »Ja, ja, ich weiß.« Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran: Die Menschen hatten mal wieder nichts Besseres zu tun, als ihn zu schikanieren. »Ich hab getan, was ich konnte«, sagte er. »Der Hund hat plötzlich angefangen, wie verrückt zu bellen. Hunde bellen eben.«
    Der Hund knurrte und fletschte die Zähne, als ich mich näherte, er beruhigte sich aber, als ich meine Hand auf seinen Kopf legte. Kein Gebelle mehr. Er hatte ziemlich viel von einem Deutsch-Kurzhaar in sich, aber noch viel mehr von allen möglichen anderen Rassen, und er war unterernährt und schwer dehydriert: man konnte jede einzelne Rippe erkennen.
    Ich zerschnitt die Wäscheleine mit meinem Taschenmesser. Der Hund schaute zu mir auf und lief dann hinter das Haus, wo der Gestank am stärksten war. Er richtete sich auf die Hinterläufe auf, legte die Vorderpfoten auf das faulende Holz und fing wieder an zu bellen. In der Nähe lehnte eine Axt an einem Baum. Ich nahm sie, drängte den Hund beiseite und versenkte die Axt in die Außenwand des Hauses.
    Ich erinnerte mich an Geschichten, die mein Vater mir erzählte, Geschichten, die er wiederum von seinem Vater hatte, über Bluegrass-Geiger, die zu Gott fanden und daraufhin ihre Teufelsinstrumente in die Wände ihrer Häuser einmauerten, wo Leute sie hundert Jahre später schließlich wiederfanden.
    »Sie können doch nicht …«, sagte Bob noch, und dann, mit dem zweiten Schlag, schlug uns der Geruch voll entgegen, und ein kleiner Arm fiel schlaff aus dem Loch in der Holzverkleidung.
    Das Kind war etwa sechs Jahre alt. Es war anscheinend im Haus durch eines der kaputten Bretter gekrabbelt, dann in der Wand stecken geblieben und dort gestorben. Er musste ungefähr eine Woche in der Wand eingeklemmt gewesen sein, schätzte der Gerichtsmediziner.
    »Und das haben Sie nicht gemerkt?«, fragte ich Bob. »Dass er verschwunden ist?« Wir standen neben
dem Jeep, er in Handschellen, die ich im Handschuhfach gefunden hatte, und warteten auf das Eintreffen der Trooper, die ihn ins County-Gefängnis bringen würden.
    »Tja, war irgendwie ziemlich still in letzter Zeit.« Er hob eine Augenbraue, wodurch sein restliches Gesicht zu einem Ausdruck verzogen wurde, den man als eine Art Gefühlsregung deuten konnte. Ich hatte allerdings keinen Schimmer, welches Gefühl das sein mochte. »Bevor der verfluchte Hund angefangen hat zu kläffen.«
    In dieser Nacht brach der Sturm, der schon die ganze Zeit über gedroht hatte, schließlich los. Ich blieb in der Stadt, auf gar keinen Fall würde ich versuchen, raus zur Blockhütte zu kommen, nicht mal mit dem Jeep. Ich stand vor dem Büro unter dem Überbau und lauschte, wie es wie aus Eimern goss, so laut, dass es jedes andere Geräusch auslöschte, so heftig, dass ich die andere Straßenseite nicht mehr sehen konnte. Immer wieder fegten Windböen die Main herunter, abrupt und mächtig wie Kanonenschüsse, und hoben den Regen für Momente in die Waagerechte.
    Wie erfuhren nie, wer die Frau war. Um die zwanzig Jahre alt, schätzte Doc Oldham. Und stumm. Was wiederum den Gerichtsmediziner veranlasste, sich
die Leiche noch einmal anzusehen. Die Stimmbänder des Kindes, entschied er, waren nicht entwickelt. Vielleicht war er ebenfalls stumm gewesen oder war einfach aufgewachsen, ohne sprechen zu lernen. Das

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