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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Kind der Frau? Oder ihr jüngerer Bruder? Sie kam ins staatliche Heim. Bob Vander wurde vom County-Gefängnis in den richtigen Knast verlegt, wo Wochen später, in einem der an Betonmischer erinnernden Trockner in der Gefängniswäscherei zwischen ungefähr hundert Pfund Bettwäsche, seine Leiche gefunden wurde.
    Eldon, den ich inmitten der Kinder des Lagers zurückgelassen hatte, zupfte auf seinem Banjo und sang alte Minstrel-Songs – ausgerechnet. Ich hatte keine Ahnung, was die Kids mit einem Titel wie »That’s Why They Call Me Shine« anfangen konnten. Und ich hatte auch keine Ahnung, wie sie wohl da oben zurechtkamen, bei diesem Wolkenbruch. So heftig wie er schon hier unten war, bei ihnen da oben würde es um Klassen schlimmer sein. Der Regen kam zuweilen von den Bergen und durch die Senken herunter wie ein meilenlanger Hammer: auf einen einzigen Schlag.
    Ich ging wieder hinein, um meine zweite Kanne Kaffee aufzubrühen. Etwas früher hatte ich mich ins Internet eingewählt, dachte, ich schicke J.T. eine
E-Mail und erkundige mich mal, wie es ihr da oben in Seattle geht, da ich in letzter Zeit gar nichts mehr von ihr gehört hatte, aber ich wurde immer wieder rausgeschmissen. Also waren wir nicht die Einzigen, die Probleme hatten. Und jetzt war sogar das Telefon ausgefallen.
    Als ich die Tür hörte, fragte ich mich, wer bei diesem Wetter wohl unterwegs sein mochte und warum; und als ich mich von meinen Erinnerungen löste und mich umdrehte, konnte ich einen Moment lang weder sprechen noch denken, denn diesen einen Moment lang hatte ich den Eindruck – ich war ganz sicher –, dass Val dort stand.
    Dann schob June die Kapuze ihres Mantels zurück.
    »Ich …« Und weiter kam sie nicht. Als hätte der Weg hierher auch noch die letzten Reserven aufgebraucht, die ihr geblieben waren. Sie sackte auf einmal zusammen, wie Kinder es tun, und saß da. Ich zog sie aus der Pfütze hoch, verfrachtete sie auf einen Stuhl, stellte ihr einen Becher heißen Tee vor die Nase und erfuhr, während draußen der Wind durch die Main brauste und der Regen auf das Dach einpeitschte, dass Billy tot war.

Kapitel Elf
    »Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte«, sagte June zu mir. »Ich dachte, vielleicht bist du hier – oder sonst einer.«
    Nach der Rückfahrt von Memphis, die letzte Stunde davon im Sturm, war sie kaum in die Einfahrt gefahren, als der Anruf kam. Alle anderen waren noch dort. Ihr Anschluss zu Hause war ausgefallen, aber ihr Mobiltelefon funktionierte noch. Der Ast eines Baumes war durch ihr Wohnzimmerfenster gekracht, der Regen drang fast ungehindert hinein und – nun, sie konnte dort nicht allein bleiben, sie konnte einfach nicht. Sie wusste nicht genau, was passiert war. Sie hatten ihn zu Untersuchungen oder Behandlungen, irgendetwas in der Richtung, fortgebracht, und dann lief irgendwas schief.
    Er sollte zum Röntgen gebracht werden, erfuhr ich zwei Tage später von Lonnie, und bekam Atemschwierigkeiten, als er mit einer Krankenschwester und einem Pfleger im Fahrstuhl war. Der Beatmungsbeutel funktionierte nicht richtig, als sie ihn aus seiner Schutzverpackung rissen, und die frisch examinierte
Krankenschwester hatte versäumt, Notfallmedikamente mitzunehmen. Als sie den Keller erreichten, die Fahrstuhltür aufglitt und sie um Hilfe brüllten, war bei Billy ein kompletter Atemstillstand eingetreten.
    Lonnie und ich saßen im Diner, wo wir ständig von Leuten gestört wurden, die ihr Beileid aussprechen wollten, Gebete murmelten oder Bibelstellen zitierten. Irgendwann kam auch Bürgermeister Sims herüber, setzte an, etwas zu sagen, brach in Tränen aus, nahm dann wortlos unseren Deckel vom Tisch und ging damit zur Kasse.
    »Die Leute sagen immer, man muss mit den Dingen abschließen«, sagte Lonnie, »sie zur Ruhe kommen lassen, die Vergangenheit auf sich beruhen lassen, weitermachen.« Er blickte aus dem Fenster, wo Jody Ragsdales restaurierter Ford Galaxie wieder mal liegengeblieben war. Der Wagen sah wirklich imposant aus, aber gleichzeitig bekam man allmählich den Eindruck, als hätte Jody etwas mehr Zeit in die Wartung der Maschine stecken sollen und etwas weniger in Karosseriearbeiten. »Billy war schon lange tot«, sagte Lonnie.
    »Ich weiß.«
    »Hattest du schon Gelegenheit, raufzufahren und mit der Besitzerin des Autos zu sprechen?«

    »Gestern.«
    Ich war am späten Vormittag hingefahren, nachdem ich bei den gröbsten Aufräumarbeiten geholfen hatte. Obwohl überall reichlich Wasser stand, jede

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