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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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das Beste wäre, die State Police zu verständigen. Sollten sie herkommen und sich einen Reim darauf machen. Mit einem gewissen Widerwillen stieg Burl in den Jeep und dirigierte mich zu dem Toten. Auf seinem Gesicht krochen die Schnecken. Irgendwas, höchstwahrscheinlich ein Hund, hatte vier Finger abgenagt.
    Burl half mir, den Mann in eine Plane zu rollen und ihn hinten in den Jeep zu laden, dann sagte er, falls ich ihn nicht mehr brauchte, dann würde er jetzt
gern verschwinden. Ich bedankte mich bei ihm, dass er seinen staatsbürgerlichen Pflichten nachgekommen sei, worauf er mit einem Lachen antwortete. Stand da und fixierte mich auf seine ganz spezielle Art: ohne zu blinzeln.
    »Keinen Schimmer, was hier abgegangen ist«, sagte er. »Interessiert mich auch nicht besonders. Aber wenn ein Mensch stirbt, dann muss man was unternehmen.«
    Einfache Wahrheiten – ohne Wertung, ohne jeden Vorwurf – in schlichte Worte gekleidet, passend zu dem Mann, der sie aussprach, der hier draußen sein schlichtes Leben führte. Es war vielleicht Naivität, aber eine verdammt heldenhafte Variante von Naivität.
    Während der Rückfahrt ging mir durch den Kopf, dass wohl in jedem Amerikaner ein heimlicher Bergbewohner oder Cowboy steckt, Henry David Thoreau oder Clint Eastwood – wir haben es im Blut und in unseren Träumen.
    Da ich schon immer ein Spätzünder war, musste ich erst fünfzehn werden, bis ich mein erstes Baumhaus hatte. Direkt hinter unserem Gartengrundstück erhob sich ein Hügel, dicht mit Bäumen bestanden, zwischendrin gemähte Wiesen, ein Stück Wildnis, in das unser Garten auslief und das den aus Maschendraht
gebauten Auslauf überragte, in dem mein Vater seine Retriever hielt. Ich hatte seine Erlaubnis und einen Stoß Bauholz von einem Futterschuppen, den er vor einiger Zeit abgebrochen hatte. Pass nur auf die Nägel auf, sagte er.
    Ich bereitete mich wochenlang vor. Nahm Millimeterpapier, das ich seit der fünften Klasse nicht mehr benutzt hatte, und zeichnete Pläne. Dad hatte mir jede Menge alte Werkzeuge überlassen; die verstaute ich, zusammen mit einem Bandmaß so schwer wie ein Amboss, in dem Schuhputzkasten, den er für mich gebaut hatte, als ich ungefähr zehn war. Kämpfte mich mit Lasten von zwei oder drei Brettern oder Kanthölzern auf einmal den Berg hinauf ab und stapelte sie dort in grob nach der Länge sortierten Haufen. Den Schubkarren schob ich ebenfalls dort hinauf, bepackt mit Weckgläsern voller Nägel und Winkel, einem Schwung alter Lappen, einer Wasserwaage und einem Krug mit roter Brause. Ich war so weit.
    Am Samstagmorgen um acht, aber erst, nachdem ich meine Haferflocken gegessen hatte, worauf meine Mutter bestand. Im Gegenzug bestand ich darauf, Verpflegung für die Mittagspause mitzunehmen, Sandwiches mit Erdnussbutter und Apfelgelee. Gegen Mittag kam Dad herauf, um zu sehen, wie
ich zurechtkam, dann noch einmal ein paar Stunden später, um mir zu sagen, ich sollte daran denken, wieder runter zu kommen, und schließlich, um mich nach Hause zu holen.
    Kurz nach Tagesanbruch am Sonntag war ich wieder dabei. Für die folgenden zwei Wochen war ich wie besessen. Nach der Schule bis Einbruch der Dunkelheit dort oben, überredete ich Mom und Dad sogar eines Abends, eine alte Petroleumlampe mitnehmen zu dürfen, um sie an einen Ast zu hängen. Riss die Seitenwände und den Boden dreimal wieder ab, bis ich alles lotrecht hatte, hobelte und schnitzte an den Brettern, bis sie für die Wände ineinanderpassten, die Ecken mussten genau ausgerichtet werden. Ich zog alte Nägel und füllte die Löcher auf, sägte Enden ab, schleifte raue Stellen glatt.
    Das Baumhaus wurde am späten Samstagnachmittag fertig. An zwei Seiten hatte ich sogar Bänke eingebaut, und davor eine winzige Veranda. Den restlichen Samstag und Sonntag saß ich auf dieser Veranda.
    Nachdem ich mit Bauen fertig war, ging ich fast nicht mehr hin. Gelegentlich stieg ich den Berg hinauf und schaute nach, wie es sich veränderte, wie es langsam zerfiel. Jahre später, zurück aus den Dschungeln auf der anderen Seite der Welt und auf
seltenem Besuch, machte ich nach dem Abendessen einen Spaziergang auf den Hügel. Überraschend stieß ich auf das Baumhaus. Ich hatte es völlig vergessen. Es war nur noch wenig davon übrig, ein paar Bodendielen und Reste der Wand, verrostete Nägel in den Bäumen. Auf einem der verbliebenen Bretter hatte eine Spottdrossel ihr Nest gebaut.

Kapitel Fünfzehn
    Sie haben Milly stabilisiert und sie nach

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