Dunkles
seinen Grund, warum man so einen Wagen klaut – also nicht irgendeinen Wagen, sondern genau so einen.
Und warum hat der den Wagen dort geklaut, wo er ihn geklaut hat? Weil sich da keiner kümmert. Weil da keiner wohnt, weil da nachts nichts los ist und trotzdem ein Geräusch nicht auffällt, weil es in so einem Industriegebiet nicht ungewöhnlich ist, wenn LKWs und Autos herumfahren.
Wie einfach doch die Welt ist, wenn man Ruhe hat!
Was haben wir also zu tun?
Das schrie fast nach einem weiteren Bier, doch Behütuns war vernünftig. Auch wenn er Bulle war, das ging nicht. Als Ministerpräsident von Bayern kannst du mit zwei Maß noch fahren, das hat der gesagt. Und wenn du Wiesheu heißt und in der gleichen Partei bist, dann kannst du im Vollsuff als Generalsekretär auf der Autobahn zwei Polen rammen, den einen in die ewigen Jagdgründe metzeln und den anderen zeitlebens zum Krüppel machen – und trotzdem Verkehrsminister werden hinterher. Wenn ich aber mit drei Bier erwischt werde, sagte sich Behütuns, dann helfen mir keine Amigos. Dann schmeißen die mich raus. Dann ist's zu Ende mit der Kriminalerei. Also: Was haben wir zu tun?
Auf Kommissar Behütuns' Unterarm landete eine Stechmücke. Er nahm sie nicht wahr, bewegte sich nicht, schlug auch nicht zu. Auch die Mücke bewegte sich kaum. Fuhr nur ihren Rüssel aus, dann wurde sie dicker und dicker. Schließlich flog sie davon – oder versuchte es. Sie stürzte beinahe ab. Torkelte zwischen den Stäben des Balkons hinunter ins Nichts. Jetzt erst, langsam, spürte Behütuns den Stich, sein unangenehm beißendes Jucken. Aber das war die Lösung!, fuhr es ihm durch den Kopf Sie mussten den Typen bloß ködern! Geländewagen hinstellen. Gelegenheiten bieten. Köder auslegen. Abwarten. Anbeißen lassen. Zuschlagen.
Ein Ruck ging durch Behütuns' Körper, eher ein Zucken, wie man es vom Einschlafen her kennt, wenn man schon halb im Traum ist und darin stolpert oder gegen einen Ball tritt. Mit einem Schlag war er wach. Verdammt, juckte sein Arm. Die Amsel im Baum sang noch immer. Wo war er gewesen? Was hatte er geträumt? Er hatte schon wieder geschlafen! Er nahm einen Schluck von der Milch und kratzte den Mückenstich. Es war kühler geworden inzwischen, erträglicher. Jetzt gurrten auch Tauben im Baum, die fetten Ratten der Stadtluft. Dann flogen sie hin und her im dichten Geäst, suchten wohl einen Platz zum Schlafen. Hart schlugen die Flügel gegen die Zweige. Es klang ganz einfach nur plump.
Irgendetwas hatte er geträumt, horchte Behütuns in sich hinein. Doch da war nichts, kein Widerhall. Das konnte doch gar nicht sein, da war doch etwas gewesen! Da hatte er doch eine Lösung gehabt, oder nicht? Er horchte, er suchte, er forschte – doch der Gedanke war weg.
Das ist ja oft so, dachte er sich, wenn du im Halbschlaf bist. Da denkst du etwas, und dann fügt sich etwas zusammen und du hast eine Lösung. Und wenn du dann aufwachst, ist es weg. Einfach gelöscht. Aber wenn es dann manchmal noch da ist, dann ist es der größte Schmarrn. Meistens. Einfach nur Quatsch. Im Traum aber war der Quatsch stimmig. Da war dann der Wunsch wohl der Vater des Gedankens. Behütuns schüttelte den Kopf. Ist weg, dachte er sich. Damit stand er wieder auf null.
Aber der Kommissar fühlte sich frisch. Was kurzer Schlaf doch bewirken kann. Nur ein, zwei Mal so kurz eingenickt und du fühlst dich gleich richtig gut, ja erquickt.
Ich dachte lange nach und ging viel allein spazieren,
meistens auf Friedhöfen.
Hermann Lenz, Das stille Haus
16. Kapitel
Ob P. A. noch bei Jaczek war? Ihn noch mit Umpacken quälte? Dick las um diese Zeit vielleicht noch vor, seinen Kindern, immer die gleichen Geschichten. Das war bei Kindern so. Oder er trank schon den ersten Wein. Behütuns sah auf die Uhr. Kurz nach elf. Er nahm seine Jacke und fuhr noch mal los. Er war viel zu wach jetzt und wollte noch etwas klären. Dieser Feldweg interessierte ihn bei Nacht, vor allem aber auch dieses Wäldchen. Dieser Ort, wo ganz in der Nähe das Auto gebrannt hatte. Ob da jemand war, und wenn ja, wer, also welche Art von Personen. Nachts. Er wollte, nein, er musste sich davon ein Bild machen.
Eine gute Viertelstunde später stand er an der Schranke in Kleingründlach. Hatte den Motor abgeschaltet und wartete auf den Zug. Der nicht kam, schon seit Minuten nicht. Dass es so etwas überhaupt noch gibt, dachte er, eine Schranke an einer so stark befahrenen Strecke. Ob jetzt ein Güterzug käme, ein
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