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Dunkles

Titel: Dunkles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommie Goerz
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Wind es erfasste, quer über die ganze Straße.
    Es war stickig im Treppenhaus. Niemand machte hier mal ein Fenster auf, damit es ein wenig durchzog. Keiner fühlte sich zuständig. Behütuns stapfte die Treppen hoch. Eine Kippe lag auf einer Stufe, ausgetreten, und an mehreren Stellen abgefallene Zigarettenasche. Der Raucher aus dem Vierten. Bei dem mussten die Wände schon gelb sein. Grässlich, wenn so einer mal auszieht. Den Rauch kriegt der Nachmieter doch gar nicht mehr raus, der hängt doch überall. Manchmal roch Behütuns ihn sogar in seinem Schlafzimmer. Als käme er von oben durch die Decke. Oder unter der Türritze durch. In diesen Altbauten gab es ja jede Menge Ritzen, vor allem unter den Türen. Vielleicht kam der Rauch ja dort herein. Irgendwann wird der die Bude einmal abfackeln. Schläft auf seinem Sofa ein mit einer Kippe in der Waffel und wacht nicht mehr auf. Es wurde Zeit, dass sich Behütuns endlich eine andere Wohnung suchte. Dabei war der Altbau eigentlich sehr schön. Er würde das nie schaffen, sich eine neue Bleibe zu besorgen. Auf der anderen Seite: Jaczek hatte es ja auch geschafft, wenn auch nicht ganz freiwillig. Aber was hieß denn hier freiwillig – bei ihm war es doch auch nicht freiwillig, oder? Behütuns schloss die Wohnungstür auf. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch.
    Er lüftete, nahm sich die Zeitung und setzte sich auf den Balkon. Jetzt, wo es so heiß war, war der Balkon angenehm, denn er lag im Schatten. Nach Osten, zur Straße hin, zu den Bäumen. Was hatten sich die Architekten denn eigentlich dabei gedacht? Nichts. Lieber hätte er einen nach Westen, wegen der Abendsonne. Und nach hinten, weg von der Straße, vom Lärm. Jetzt aber passte er. Behütuns setzte sich auf den Stuhl, lehnte sich zurück und legte die Füße aufs Geländer. Unten brummten Autos vorbei, nein, rauschten eher. Andere konnten das nicht machen, die hatten Blumenkästen. Bei ihm würden Blumen nicht wachsen. Nicht einmal Schnittlauch überlebte, das hatte er schon versucht. Wenigstens war hier, in der Schweppermannstraße, nicht so viel los, kein echter Durchgangsverkehr. Halbwegs beruhigte Zone. Durch die Geländerstäbe sah er nach unten. Konnte das sein? Da standen zwei Frauen und unterhielten sich. Ein Kind fuhr auf seinem Dreirad im Kreis und machte komische Geräusche. Waren die ...? Nein, die hatten bestimmt den ganzen Tag gearbeitet und trafen sich abends wieder. Zufällig. Wäre ja doch eine zu verwegene Vermutung. Dann drehte er sich eine Zigarette. Ob er sich ein Bier holen sollte? Nein, das würde er erst später tun. In der Hitze knallte das zu sehr rein. Er wollte einen klaren Kopf behalten. Außerdem – hatte er überhaupt eins da? Er war zu faul zum Nachsehen, glaubte aber nicht. Wer hätte denn auch eins kaufen sollen.
    Der Club hatte schon wieder einmal ... aber das interessierte ihn jetzt nicht. Immer die gleichen Geschichten des Jammers, seit Jahrzehnten. Über seinen Fall berichteten sie auch, aber nicht als Fall, sondern als Unfall. Er mochte die Art, wie die Nürnberger Nachrichten oder auch die NZ schrieben. Sauberer, geerdeter Journalismus. Ohne Hysterie oder überzogene Ambitionen, keine aufgeblasenen Sachen, einfach nur das, was war. Mit verständlichen Kommentaren, soliden Überlegungen und einem sympathischen politischen Hintergrund. Er verstand gar nicht, warum die Auflagen Jahr für Jahr konstant zurückgingen. Lasen die Leute nicht mehr? Oder lasen sie beim Frühstück nur das, was auf der Milchtüte stand, auf dem Marmeladenglas und dem Butterpapier? Oder frühstückten die gar nicht mehr? Stimmt, es war ja Mode, im Stehen zu frühstücken, so im Vorbeigehen quasi, ein Tässchen Espresso aus der teuren Maschine. Die Menschen machten sich zum Affen der Affen, die so etwas erfanden und auch noch als hip deklarierten. Von früh an nur Eile und Hetzen, das kann es doch wohl nicht sein, oder?
    Wo war er stehen geblieben? Richtig: Milchtüte! Das war ein gutes Stichwort. Behütuns überwand sich und stand auf, ging in die Küche und holte sich ein Glas Milch. H-Milch, aber immerhin fair für die Bauern, 42 Cent gingen an sie, so stand es auf dem Karton. Behütuns glaubte dem kein Wort, aber fürs Gewissen war es gut. Du kannst ja nicht alles überprüfen.
    Auf dem Balkon lehnte er sich dann wieder zurück. Er war müde.
    Nicht sehr viel später saß er in Heroldsberg im Schlosshof. Nein, in Kalchreuth. Im Hof vom Schloss. Er fragte sich nicht, wie er dorthin gekommen war.

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