Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)
gefläzt«), sondern eine Arbeit, bei der man nicht von Kräften kommt, eine befristete leichte Arbeit.
Die Arbeit im Krummholz galt nicht nur als leichte — extrem leichte — Arbeit, sie war auch noch unbewacht.
Nach den vielen Monaten Arbeit in vereisten Profilen, wo dir jedes bis zum Glanz durchfrorene Steinchen die Hände verbrennt, nach dem Klappern der Gewehrschlösser, Hundegebell und dem Gefluche der Aufseher war die Arbeit im Krummholz ein gewaltiges, mit jedem erschöpften Muskel empfundenes Vergnügen. Ins Krummholz wurde man später losgeschickt, nach dem gewöhnlichen Ausrücken zur Arbeit noch im Dunkeln.
Es war gut, die Hände zum Wärmen um die Konservendose mit den glimmenden Scheiten zu legen, gemächlich auf die Bergkuppen zuzugehen, die so unfaßbar fernen, wie mir früher schien, und höher und höher zu steigen, dabei die ganze Zeit wie eine freudige Überraschung die eigene Einsamkeit und die tiefe winterliche Bergesstille zu spüren, als wäre alles Schlechte aus der Welt verschwunden und als gäbe es nur deinen Kameraden, dich und das schmale dunkle unendliche Band im Schnee, das irgendwo in die Höhe, in die Berge führt.
Mein Kamerad schaute mißbilligend auf meine langsamen Bewegungen. Er ging schon lange ins Krummholz und vermutete in mir zu Recht einen ungeschickten und schwachen Partner. Wir arbeiteten in Paaren, der Lohn war gemeinsam und wurde durch zwei geteilt.
»Ich übernehme das Abschlagen, und du setzt dich hin und rupfst«, sagte er. »Und beweg dich ein bißchen flotter, sonst schaffen wir die Norm nicht. Und von hier zurück in die Mine will ich nicht.«
Er hackte Krummholzäste und schleifte einen riesigen Haufen davon ans Feuer. Ich brach mir kleinere Äste ab und zog, an der Spitze des Zweigs beginnend, die Nadeln mit der Rinde ab. Sie sahen aus wie grüne Fransen.
»Mach schneller«, sagte mein Kamerad und kam mit einem neuen Armvoll zurück. »So geht’s nicht, mein Lieber!«
Mir war selbst klar, daß es so nicht ging. Doch ich konnte nicht schneller arbeiten. Es sauste mir in den Ohren, und in den zu Anfang des Winters erfrorenen Fingern spürte ich längst den bekannten dumpfen Schmerz. Ich zog die Nadeln ab, brach ganze Zweige in Stücke, ohne die Rinde abzulösen, und drückte die Ausbeute in den Sack. Doch der Sack wollte einfach nicht voll werden. Ein ganzer Berg von abgezogenen Zweigen, gebleichten Knochen ähnlich, türmte sich schon neben dem Feuer, doch der Sack wuchs und wuchs und nahm immer noch neue Armvoll Krummholz auf.
Mein Kamerad half mit. Jetzt ging es schneller voran.
»Wir müssen los«, sagte er plötzlich. »Sonst kommen wir zu spät zum Abendessen. Für die Norm reicht das hier nicht.« Und er nahm aus der Feuerasche einen großen Stein und steckte ihn in den Sack. »Den machen sie dort nicht auf«, sagte er finster. »Jetzt haben wir die Norm.«
Ich stand auf, zerstreute die brennenden Äste und schaufelte mit den Füßen Schnee auf die glühenden Kohlen. Das Feuer zischte und erlosch, und sofort wurde es kalt und spürbar, daß der Abend nahte. Mein Kamerad half mir den Sack auf den Rücken laden. Ich schwankte unter dem Gewicht.
»Schleif ihn hinter dir her«, sagte mein Kamerad. »Es geht ja bergab, nicht bergauf.«
Wir bekamen gerade noch unsere Suppe und den Tee. Bei dieser leichten Arbeit stand uns ein zweiter Gang nicht
1956
Marschverpflegung
Als wir, alle vier, an der Quelle der Duskanja ankamen, freuten wir uns so, daß wir fast nicht miteinander sprachen. Wir fürchteten, daß unsere Reise hierher irgend jemandes Fehler oder irgend jemandes Scherz sein könnte, daß man uns in die unheilvollen, von kaltem Wasser – getautem Eis – überschwemmten steinernen Gruben des Goldbergwerks zurückschicken würde. Die staatlichen Gummigaloschen, die
tschuni
, schützten unsere viele Male erfrorenen Füße nicht vor der Kälte.
Wir folgten den Traktorspuren wie den Spuren eines prähistorischen Tiers, doch der Traktorweg endete, und auf einem alten, kaum sichtbaren Fußpfad kamen wir an ein kleines Blockhaus mit zwei ausgeschnittenen Fenstern und einer Tür, die an einer einzigen Schlinge aus einem mit Nägeln befestigten Stück Autoreifen hing. Die kleine Tür hatte einen riesigen hölzernen Griff, wie der Griff einer Restauranttür in großen Städten. Innen waren nackte Lattenpritschen, auf dem Lehmboden lag eine schwarze, angeräucherte Konservendose. Weitere Dosen, rostig und altersgelb, lagen in großer Zahl um das
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