Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)
dem Gewehrende tippte er mir auf die Schulter, und ich drehte mich um.
»Dich habe ich gewollt«, sagte Seroschapka, »aber du hast dich ja nicht rausgehängt, du Schwein!«
1959
Die Hündin Tamara
Die Hündin Tamara hatte unser Schmied aus der Tajga mitgebracht, Moissej Mojssejewitsch Kusnezow . Sein Beruf lag, wie sein Nachname sagt, in der Familie. Moissej Mojssejewitsch stammte aus Minsk. Er war Waise, was man übrigens aus seinem Vor- und Vatersnamen schließen konnte, bei den Juden wird der Sohn dann und nur dann nach dem Vater genannt, wenn der Vater vor der Geburt seines Sohnes stirbt. Sein Handwerk hatte Moissej von Kind auf gelernt, bei seinem Onkel, einem Schmied, wie Moissejs Vater.
Kusnezows Frau war Kellnerin in einem Minsker Restaurant, sie war viel jünger als ihr vierzigjähriger Mann und hatte ihn im Jahr siebenunddreißig, auf Rat ihrer Busenfreundin, der Buffetkraft, denunziert. Das war in jenen Jahren ein wirksameres Mittel als jede Behexung oder Besprechung, wirksamer selbst als etwa Schwefelsäure, und der Mann, Moissej Mojssejewitsch, war sofort verschwunden. Er war Fabrikschmied, nicht einfach nur Schmied, sondern ein Meister, sogar ein wenig Poet, einer von der Sorte Schmiede, die eine Rose schmieden konnten. Sein Handwerkszeug hatte er eigenhändig gefertigt. Dieses Werkzeug – Zangen, Meißel, Hämmerchen, Vorschlaghämmer – war von unbestreitbarer Eleganz, was für die Liebe zu seinem Handwerk und vom Sinn des Meisters für die Seele seines Handwerks sprach. Es ging hier keineswegs um Symmetrie oder Asymmetrie, sondern um etwas Tieferes, Innerlicheres. Jeder Huf, jeder Nagel, den Moissej Mojssejewitsch schmiedete, war elegant, und jedes Ding, das aus seinen Händen kam, trug den Stempel des Meisters. Jedes fertige Ding gab er mit Bedauern ab: immer meinte er, er müsse noch einmal schlagen, es noch besser, noch passender machen.
Die Leitung schätzte ihn sehr, obwohl im geologischen Abschnitt nicht viel Schmiedearbeit anfiel. Moissej Mojssejewitsch trieb manchmal Scherze mit der Leitung, und diese Scherze wurden ihm wegen seiner guten Arbeit verziehen. So versicherte er der Leitung, daß sich Bohrer besser in Fett härten lassen als in Wasser, und der Chef bestellte Butter für die Schmiede — natürlich in winziger Menge. Einen kleinen Teil dieser Butter warf Kusnezow ins Wasser, und die Stahlbohrerspitzen bekamen einen weichen Glanz, den das gewöhnliche Härten niemals gab. Die übrige Butter aßen Kusnezow und sein Hammerschmied auf. Dem Chef wurde bald von den Manövern des Schmieds berichtet, doch es folgten keinerlei Repressionen. Später erbat sich Kusnezow, der beharrlich die hohe Qualität der Fetthärtung betonte, vom Chef die Schnittabfälle der Butterblöcke, die im Lagerhaus angeschimmelt waren. Diese Abfälle schmolz der Schmied um und erhielt ein leicht bitteres Butterschmalz. Er war ein guter, stiller Mensch und wünschte allen das Beste.
Unser Chef kannte das Leben sehr genau. Wie Lykurg sorgte er dafür, daß es in seinem Tajgastaat zwei Feldscher, zwei Schmiede, zwei Vorarbeiter, zwei Köche und zwei Buchhalter gab. Ein Feldscher kurierte, und der andere machte unqualifizierte Arbeiten und paßte auf, daß sein Kollege nicht gegen das Gesetz verstieß. Wenn der Feldscher ein »Betäubungsmittel« mißbrauchte, irgendein »Kodeinchen« oder »Koffeinchen«, wurde er entlarvt, bestraft und zu den allgemeinen Arbeiten geschickt, und sein Kollege verfaßte und unterschrieb ein Übernahmedokument und zog um ins Medizinische Zelt. Nach der Idee des Chefs gewährleisteten die Reservekader nicht nur die Ablösung im richtigen Moment, sondern dienten auch der Disziplin, die natürlich sofort abnähme, wenn ein einziger Spezialist sich unersetzlich fühlte.
Doch die Buchhalter, Feldscher und Vorarbeiter tauschten ziemlich leichtsinnig ihre Plätze — zumindest lehnten sie ein Gläschen Alkohol nicht ab, auch wenn es ein Provokateur anbot.
Der Schmied, den der Chef als Gegenpart zu Moissej Mojssejewitsch ausgewählt hatte, brauchte den Hammer niemals zur Hand zu nehmen — Moissej Mojssejewitsch war untadelig, unanfechtbar, und auch seine Qualifikation war hoch.
Ihm also war auf einem Tajgapfad ein Jakutenhund von wölfischem Aussehen begegnet: eine Hündin mit einem abgeriebenen Fellstreifen auf der weißen Brust — das war ein Zughund.
Um uns herum gab es weder Siedlungen noch Nomadenlager der Jakuten, der Hund stand auf dem Tajgapfad vor Kusnezow und
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