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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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in der Brotfabrik, in den Werkhallen. Diese Leute mußten kräftiger sein als die übrigen, damit sie die Tragen mit dem Ziegelbruch schleppen konnten, der nach dem Umsetzen des Ofens geblieben war. Sie durften keine Diebe sein, keine Ganoven, denn sonst geht der Arbeitstag drauf für alle möglichen Treffen, die Übergabe von »Kassibern«, Zettelchen, und nicht für die Arbeit. Sie durften die Grenze noch nicht erreicht haben, jenseits derer der Hunger jeden zum Dieb macht, denn in den Werkhallen würde sie niemand bewachen. Es durfte keine Fluchtgefahr bestehen. Es durfte...
    Und all das mußte aus den zwanzig Häftlingsgesichtern in einem Moment herausgelesen, es mußte sofort gewählt und entschieden werden.
    »Du kommst mit«, sagte mir der Mensch ohne Mütze. »Und du«, er tippte meinen sommersprossigen allwissenden Nachbarn an. »Die beiden nehme ich«, sagte er dem Begleitposten.
    »In Ordnung«, sagte der gleichgültig.
    Neidische Blicke begleiteten uns.
    Beim Menschen arbeiten niemals alle fünf Sinne zugleich in voller Intensität. Ich höre das Radio nicht, wenn ich aufmerksam lese. Die Zeilen springen mir vor den Augen, wenn ich eine Radiosendung anhöre, obwohl der Automatismus des Lesens erhalten bleibt, meine Augen folgen den Zeilen, und plötzlich zeigt sich, daß ich vom eben Gelesenen nichts mehr weiß. Dasselbe geschieht, wenn man beim Lesen an etwas anderes denkt – hier sind schon innere Schalter am Werk. Die Redensart – beim Essen bin ich taub und stumm – kennt jeder. Man könnte hinzufügen: »und blind«, denn die Funktion des Auges beschränkt sich bei solchem Essen mit Appetit auf die Unterstützung der geschmacklichen Wahrnehmung. Wenn ich tief im Schrank mit der Hand etwas suche und die Wahrnehmung in den Fingerspitzen lokalisiert ist, sehe und höre ich nichts, alles ist durch die Anstrengung des Tastsinns verdrängt. So stand ich auch jetzt, als ich die Schwelle der Brotfabrik überschritten hatte, und sah weder die mitfühlenden und wohlwollenden Gesichter der Arbeiter (hier arbeiteten sowohl ehemalige als auch gegenwärtige Häftlinge), noch hörte ich die Worte des Meisters, des schon bekannten Manns ohne Mütze, der uns erklärte, wir sollten Ziegelbruch nach draußen schleppen, nicht durch die anderen Werkhallen laufen und nicht stehlen, er würde uns auch so Brot geben — ich hörte nichts. Ich spürte auch nicht die Hitze in der Werkhalle, die Wärme, nach der sich der Körper über den langen Winter so gesehnt hatte.
    Ich sog den Brotgeruch ein, das satte Aroma der Laibe, wo sich der Duft von heißem Fett mit dem Duft von geröstetem Mehl verband. Eine winzige Spur dieses alles übertreffenden Aromas fing ich gierig jeden Morgen auf, die Nase an die Rinde der noch ungegessenen Ration gedrückt. Hier aber war es in aller Sattheit und Stärke, und mir war, als zerrisse es meine armen Nasenlöcher.
    Der Meister unterbrach die Bezauberung.
    »Kannst dich nicht satt sehen«, sagte er. »Gehen wir ins Kesselhaus.«
    Wir stiegen in den Keller hinab. Im sauber gefegten Kesselhaus saß mein Partner schon am Tisch des Heizers. Der Heizer, in einem ebensolchen blauen Kittel wie der Meister, rauchte am Ofen, und durch die Öffnungen in der Gußeisentür der Feuerung war zu sehen, wie sich die Flamme darin umherwarf und sprühte — mal rot, mal gelb, und die Kesselwände zitterten und brummten von den Zuckungen des Feuers.
    Der Meister stellte eine Teekanne und einen Becher mit Marmelade auf den Tisch und legte einen Laib Weißbrot hin.
    »Gib ihnen zu trinken«, sagte er dem Heizer. »Ich komme in etwa zwanzig Minuten. Nur trödelt nicht, beeilt euch. Am Abend bekommt ihr noch einmal Brot, brecht es in Stücke, sonst nimmt man es euch im Lager ab.«
    Der Meister ging.
    »Schau an, die Kanaille«, sagte der Heizer und drehte den Laib in den Händen. »Das dreißiger war ihm zu schade, dem Dreckskerl. Na warte.«
    Und er lief dem Meister hinterher, kurz darauf war er wieder da und warf einen anderen Brotlaib in die Höhe.
    »Noch warm«, sagte er und warf den Laib dem sommersprossigen Jungen zu. »Aus dreißiger. Da wollte er euch mit halbweißem abspeisen! Gib mal her.« Und der Heizer griff sich den Laib, den der Meister uns dagelassen hatte, riß die Kesseltür auf und schleuderte den Laib in das tönende, heulende Feuer. »So«, sagte er fröhlich und drehte sich zu uns um.
    »Aber warum«, sagte ich, »wir hätten es lieber mitgenommen«.
    »Zum Mitnehmen geben wir euch noch«,

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