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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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sagte der Heizer.
    Weder ich noch der sommersprossige Junge konnten das Brot durchbrechen.
    »Hast du vielleicht ein Messer?«, fragten wir den Heizer.
    »Nein. Wozu denn ein Messer?«
    Der Heizer nahm das Brot in beide Hände und brach es mühelos durch. Heißer aromatischer Dampf stieg aus dem zerbrochenen Laib. Der Heizer tippte mit dem Finger auf die Krume.
    »Bäckt gut, der Fedka, bravo!«, lobte er.
    Doch wir hatten nicht die Zeit, zu forschen, wer dieser Fedka war. Wir machten uns ans Essen und verbrannten uns am Brot genauso wie am kochenden Wasser, in das wir die Marmelade rührten. Heißer Schweiß lief in Strömen an uns herab. Wir beeilten uns — der Meister kam uns holen.
    Er hatte schon eine Trage gebracht und sie zu einem Haufen Ziegelbruch geschleppt, hatte Schaufeln gebracht und selbst den ersten Kasten gefüllt. Wir gingen an die Arbeit. Und sofort war klar, daß die Trage zu schleppen unsere Kräfte überstieg, sie dehnte die Sehnen, die Hand wurde plötzlich schwach, verlor alle Kraft. Uns wurde schwindlig, wir taumelten. Die nächste Trage belud ich, aber nur mit der halben Last.
    »Das reicht, das reicht«, sagte der sommersprossige Junge. Er war noch blasser als ich, oder die Sommersprossen unterstrichen seine Blässe.
    »Ruht euch aus, Jungs«, sagte ein vorbeikommender Bäkker fröhlich und keineswegs spöttisch, und ergeben setzten wir uns zum Ausruhen hin. Der Meister kam vorbei, aber sagte nichts.
    Nach der Ruhepause machten wir uns wieder an die Arbeit, doch nach jeder zweiten Trage setzten wir uns wieder — der Schutthaufen nahm nicht ab.
    »Raucht eine, Jungs«, sagte derselbe Bäcker, der wieder erschien.
    »Wir haben keinen Tabak.«
    »Na, ich gebe euch welchen. Ihr müßt nur rausgehen. Hier darf man nicht rauchen.«
    Wir teilten die Machorka, und jeder rauchte seine Papirossa — ein längst vergessener Luxus. Ich nahm ein paar langsame Züge, dann löschte ich die Papirossa behutsam mit dem Finger, wickelte sie in ein Papierchen und steckte sie mir ins Hemd.
    »Du hast recht«, sagte der sommersprossige Junge. »Daran hätte ich gar nicht gedacht.«
    Bis zur Mittagspause hatten wir uns so eingewöhnt, daß wir auch einen Blick in die Nebenräume werfen konnten, wo die gleichen Backöfen standen. Überall kamen unter Kreischen eiserne Formen und Bleche aus den Öfen, und auf den Gestellen lag überall Brot, Brot. Von Zeit zu Zeit fuhr eine Lore auf Rädern heran, das gebackene Brot wurde aufgeladen und irgendwohin gebracht, nur nicht dorthin, wohin wir am Abend zurückkehren mußten — es war weißes Brot.
    Im großen gitterlosen Fenster war zu sehen, daß die Sonne vor dem Untergang stand. Durch die Tür kam ein kalter Luftzug. Der Meister erschien.
    »So, macht Schluß. Laßt die Trage auf dem Schutt. Geschafft habt ihr wenig. Den Haufen schleppt ihr auch in einer Woche nicht weg, ihr emsigen Arbeiter.«
    Wir bekamen je einen Laib Brot, brachen ihn in Stücke und stopften uns die Taschen voll... Aber wieviel konnte in unsere Taschen passen?
    »Steck es direkt in die Hose«, kommandierte der sommersprossige Junge.
    Wir gingen hinaus in den kalten abendlichen Hof, der Trupp war schon angetreten, man brachte uns zurück. Bei der Lagerwache wurden wir nicht durchsucht — niemand trug das Brot in der Hand. Ich nahm meinen Platz ein, teilte das mitgebrachte Brot mit den Nachbarn, legte mich hin und schlief ein, sobald meine nassen, eiskalten Füße warm waren.
    Die ganze Nacht zogen vor meinen Augen Brotlaibe vorüber und das mutwillige Gesicht des Heizers, der das Brot in den flammenden Schlund der Feuerung warf.
    1956

Der Schlangenbeschwörer
    Wir saßen auf einer vom Sturm gefällten gewaltigen Lärche. In der Gegend des Dauerfrostbodens können sich die Bäume kaum in der ungemütlichen Erde halten, und ein Sturm reißt sie leicht mit den Wurzeln aus und streckt sie zu Boden. Platonow erzählte mir die Geschichte seines hiesigen Lebens — unseres zweiten Lebens auf dieser Welt. Bei der Erwähnung des Bergwerks »Dschanchara« runzelte ich die Stirn. Ich war selbst an üblen und schwierigen Orten gewesen, doch der schreckliche Ruf von »Dschanchara« hatte überall die Runde gemacht.
    »Und waren Sie lange in ›Dschanchara‹?«
    »Ein Jahr«, sagte Platonow leise. Seine Augen verengten sich, die Falten zeichneten sich schärfer ab — ich hatte einen anderen Platonow vor mir, um zehn Jahre gealtert.
    »Übrigens, schwer war es nur die erste Zeit, zwei, drei Monate. Dort sind

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