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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Produktion. »Dame im goldenen Kleid«. Die Pracht kennt in diesem Porträt kein Maß — es ist, als wolle der Künstler sich zwingen, das Karge der nördlichen Farbpalette zu vergessen. Und Schluß. Jetzt kann er sterben.
    Für das »Direktionshaus« malten die Künstler auch Kopien: »Iwan der Schreckliche erschlägt seinen Sohn« , Schischkins »Morgen im Wald«. Diese beiden Bilder sind die Klassiker des Pfuschs.
    Doch das Erstaunlichste dort waren die Stickereien. Seidenvorhänge, Gardinen und Portieren waren mit Handstikkereien verziert. Vorleger, Zierdeckchen, Handtücher — in den Händen der gefangenen Meisterinnen wurde jedes Stück Stoff zur Kostbarkeit.
    Der Dalstroj-Direktor übernachtete in seinen »Häusern« – an der Trasse gab es mehrere davon – drei oder vier Mal im Jahr. Die gesamte übrige Zeit erwarteten ihn der Wächter, der Verwalter, der Koch und der »Haus«chef, vier Freie, die für ihre Arbeit im Hohen Norden prozentuale Zuschläge bekamen, sie warteten, hielten sich bereit, heizten im Winter die Öfen und lüfteten das »Haus«.
    Zum Besticken von Vorhängen, Zierdeckchen und allem, was ihnen einfiel, wurde Marusja Krjukowa hierhergebracht. Es gab noch zwei weitere Stickerinnen, die Mascha an Können und Phantasie gleichkamen. Rußland ist ein Land der Überwachung, ein Land der Kontrolle. Der Traum jedes guten Russen – ob Häftling oder Freier – ist, daß man ihn einsetzt, um etwas oder jemanden zu überprüfen. Erstens: ich gebiete über jemanden. Zweitens: man erweist mir Vertrauen. Drittens: bei einer solchen Aufgabe trage ich weniger Verantwortung als bei direkter Arbeit. Und viertens: denken Sie an Nekrassows Attacke »In den Schützengräben von Stalingrad«.
    Mascha und ihre neuen Bekannten waren einer Frau unterstellt, Parteimitglied, die den Stickerinnen täglich Stoff und Garn ausgab. Am Ende des Arbeitstages nahm sie ihnen die Arbeit ab und prüfte sie. Diese Frau arbeitete nicht, wurde aber im Stellenplan des Zentralkrankenhauses als Leitende OP-Schwester geführt. Sie paßte sorgfältig auf und war überzeugt, sie müsse sich nur abwenden, und gleich ist ein Stück schwere blaue Seide verschwunden.
    Die Stickerinnen waren längst an solche Bewachung gewöhnt. Und obwohl es wohl keine Mühe gemacht hätte, diese Frau zu betrügen, stahlen sie nicht. Alle drei waren nach Artikel 58 verurteilt.
    Die Stickerinnen waren im Lager untergebracht, in der Zone, an deren Tor, wie in allen Lagerzonen der Union, die unvergeßlichen Worte standen: »Die Arbeit ist eine Sache der Ehre, eine Sache des Ruhmes, der Tapferkeit und des Heldentums«. Und der Autor des Zitats... Die Losung klang ironisch und entsprach auf erstaunliche Weise dem Sinn, dem Inhalt, den das Wort »Arbeit« im Lager hat. Die Arbeit war alles mögliche, nur keine Sache des Ruhmes. Im Jahre 1906 erschien in einem Verlag, an dem Sozialrevolutionäre beteiligt waren, ein Buch »Gesammelte Reden Nikolajs II.«. Das waren Nachdrucke aus dem »Regierungsboten« vom Moment der Krönung des Zaren und bestanden aus Trinksprüchen: »Ich trinke auf die Gesundheit des Kexholmer Regiments«, »Ich trinke auf die Gesundheit der heldenhaften Tschernigower«.
    Den Trinksprüchen vorangestellt war ein in hurrapatriotischen Tönen gehaltenes Vorwort: »In diesen Worten spiegelt sich wie in einem Wassertropfen die ganze Weisheit unseres großen Monarchen« etc.
    Die Herausgeber des Bandes wurden nach Sibirien verbannt.
    Was geschah mit den Leuten, die das Zitat über die Arbeit an die Tore der Lagerzonen der gesamten Sowjetunion hängten?..
    Für hervorragendes Betragen und erfolgreiche Planerfüllung durften die Stickerinnen an den Filmvorführungen für die Häftlinge teilnehmen.
    Die Filmvorführungen für die Freien unterschieden sich in ihren Abläufen wenig vom Kino für die Häftlinge.
    Es gab nur einen Filmprojektor, zwischen den Teilen waren Pausen.
    Einmal wurde der Film »Eine Dummheit macht selbst der Gescheiteste« gezeigt. Der erste Teil war zu Ende, wie immer ging das Licht an und verlosch wie immer, man hörte das Rattern des Filmprojektors, der gelbe Strahl traf die Leinwand.
    Alles trampelte und schrie. Der Vorführer hatte sich sichtlich geirrt — er zeigte den ersten Teil noch einmal. Dreihundert Mann: hier waren Frontkämpfer mit Orden, verdiente Ärzte, die zu einer Konferenz gekommen waren — alle, die Karten für diese Frei-Vorführung gekauft hatten, schrien und trampelten mit den Füßen.
    Der

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