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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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finden. Die Spuren der Druckerschwärze verderben ihr Aroma keineswegs, sie unterstreichen es sogar auf die beste Weise. Ich hielt das Papierstäbchen an die glühende Kohle im Ofen und steckte es an, zog gierig den widerlichen süßlichen Rauch ein.
    Beim Tabak darbten wir, und ich hätte längst aufhören müssen zu rauchen — die Bedingungen waren ganz dazu angetan, doch ich habe das Rauchen niemals aufgegeben. Es war ein schrecklicher Gedanke, mir aus eigenem Willen dieses einzige große Häftlingsvergnügen zu nehmen.
    »Gute Nacht«, sagte Andrej Michajlowitsch lächelnd. »Ich wollte eigentlich schon schlafen gehen. Aber ich hatte solche Lust auf eine Partie Domino. Ich danke Ihnen.«
    Ich ging aus seinem Zimmer in den dunklen Korridor — jemand stand auf meinem Weg, an die Wand gelehnt. Ich erkannte Kosliks Silhouette.
    »Was ist? Was machst du hier?«
    »Rauchen möchte ich. Eine rauchen. Hat er nichts gegeben?«
    Ich schämte mich für meine Gier, schämte mich, daß ich weder an Koslik noch irgend jemanden sonst aus dem Krankensaal gedacht und ihnen eine Zigarettenkippe, eine Brotrinde, eine Handvoll Grütze mitgebracht hatte.
    Und Koslik hatte mehrere Stunden im dunklen Korridor gestanden.
    Noch einige Jahre waren vergangen, der Krieg war zu Ende, die Wlassow-Leute lösten uns in den Goldgruben ab, und ich kam in die kleine Zone, in die Durchgangsbaracken der Westlichen Lagerverwaltung . Die riesigen Baracken mit den vielstöckigen Pritschen faßten fünf-, sechshundert Personen. Von hier ging der Abtransport in die Gruben des Westens.
    In den Nächten schlief die Zone nicht — es kamen Häftlingstransporte, und in der »Roten Ecke« der Zone, die mit den schmutzigen Steppdecken der Ganoven ausgelegt wurde, gab es allnächtlich Darbietungen. Und was für Darbietungen! Mit den berühmtesten Sängern und Erzählern — nicht nur aus den Agitbrigaden des Lagers, sondern auch der Hautevolee. Irgendein Bariton aus Charbin, der Leschtschenko und Wertinskij imitierte, der sich selbst imitierende Wadim Kosin und viele, viele andere sangen hier ohne Ende für die Ganoven und traten mit ihrem besten Repertoire auf. Neben mir lag der Leutnant der Panzertruppen Swetschnikow, ein zarter, rotwangiger Jüngling, der vom Militärtribunal für irgendwelche Dienstvergehen verurteilt wurde. Auch hier lief gegen ihn ein Ermittlungsverfahren — während seiner Arbeit im Bergwerk hatte man ihn dabei ertappt, daß er Menschenfleisch aß, das Fleisch menschlicher Leichname, aus denen er im Leichenhaus Stücke hackte, »keine fetten natürlich«, wie er ganz ruhig erklärte.
    Seine Nachbarn sucht man sich im Durchgangslager nicht aus, und es gibt wahrscheinlich auch Schlimmeres, als vom Fleisch einer menschlichen Leiche zu essen.
    Selten, sehr selten kam ein Feldscher in die kleine Zone und empfing die Fiebernden. Die Furunkel, von denen ich übersät war, wollte sich der Feldscher nicht einmal anschauen. Mein Nachbar Swetschnikow, der den Feldscher aus dem Leichenhaus kannte, sprach mit ihm wie mit einem guten Bekannten. Überraschend nannte der Feldscher den Namen Andrej Michajlowitschs.
    Ich bewegte den Feldscher dazu, Andrej Michajlowitsch einen Zettel zu übergeben — das Krankenhaus, wo er arbeitete, lag einen Kilometer von der kleinen Zone entfernt.
    Meine Pläne hatten sich geändert. Jetzt mußte ich bis zu einer Antwort von Andrej Michajlowitsch in der Zone bleiben.
    Der Arbeitsanweiser war schon auf mich aufmerksam geworden und trug mich für jeden vom Durchgangslager abgehenden Transport ein. Doch die Vertreter, die die Transporte annahmen, strichen mich ebenso regelmäßig von den Listen. Sie ahnten Schlimmes, und mein Aussehen sprach auch für sich.
    »Warum willst du nicht fahren?«
    »Ich bin krank. Ich muß ins Krankenhaus.«
    »Im Krankenhaus hast du nichts zu suchen. Morgen geht ein Transport zu Straßenarbeiten. Willst du Besen binden?«
    »Ich will nicht zu den Straßenarbeiten. Ich will keine Besen binden.«
    Tag um Tag ging hin, ein Transport nach dem anderen. Weder der Feldscher noch Andrej Michajlowitsch ließen von sich hören.
    Am Ende der Woche gelang es mir, zur medizinischen Untersuchung ins vielleicht hundert Meter von der kleinen Zone entfernte Ambulatorium hinüberzulaufen. Einen neuen Zettel an Andrej Michajlowitsch hielt ich in der Faust. Der Statistiker der Sanitätsstelle nahm ihn mir ab und versprach, ihn am anderen Morgen Andrej Michajlowitsch zu geben.
    Während der Untersuchung fragte

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