Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)
— zwei Zelte, hölzerne Gebäude.
»In die zweite«, sagte die Stimme von hinten.
Ich packte den Griff, öffnete die Tür und trat ein.
Doppelpritschen, voller Leute. Aber nicht eng, nicht vollgestopft. Lehmboden. Ein halbrunder Ofen auf hohen eisernen Füßen. Der Geruch von Schweiß, Lysol und schmutzigen Körpern.
Mühsam kroch ich nach oben – dort ist es immerhin wärmer – und schlüpfte auf einen freien Platz.
Mein Nachbar wachte auf.
»Aus der Tajga?«
»Ja.«
»Verlaust?«
»Ja.«
»Dann leg dich in die Ecke. Wir haben hier keine Läuse. Hier wird desinfiziert.«
Desinfiziert, das ist gut, dachte ich. Aber Hauptsache warm.
Am Morgen wurde Essen ausgegeben. Brot, Kochendwasser. Mir stand noch kein Brot zu. Ich zog die
burki
von den Füßen, legte sie mir unter den Kopf, ließ die Wattehosen herunter, um die Füße zu wärmen, schlief ein und wachte nach vierundzwanzig Stunden auf, als ich schon Brot bekam und zur vollen Verpflegung ins »Waskow-Haus« aufgenommen war.
Zum Mittagessen gab es Mehlkloßbrühe und drei Löffel Hirsebrei. Ich schlief bis zum Morgen des folgenden Tages, bis zu dem Moment, wo die wüste Stimme des Diensthabenden mich weckte.
»Andrejew! Andrejew! Wer ist Andrejew?«
Ich kletterte von der Pritsche.
»Ich.«
»Geh raus in den Hof — dort zu dieser Vortreppe.«
Die Türen des echten »Waskow-Hauses« öffneten sich vor mir, und ich trat in den niedrigen, trüb beleuchteten Korridor. Der Aufseher öffnete ein Schloß, schob einen massiven Eisenriegel zurück und öffnete eine winzige Zelle mit Doppelpritschen. Zwei Personen saßen gebückt in der Ecke der unteren Pritsche.
Ich ging ans Fenster und setzte mich.
Jemand packte mich bei den Schultern. Das war mein Grubenbrigadier Dmitrij Timofejewitsch Parfentjew.
»Verstehst du irgend etwas?«
»Ich verstehe gar nichts. Wann haben sie dich hergebracht?«
»Vor drei Tagen. Atlas hat mich in einer Limousine hergebracht.«
»Atlas? Er hat mich in der Kreisabteilung befragt. Etwa vierzig, beginnende Glatze. In Zivil.«
»Mit mir ist er in Militäruniform gefahren. Und was hat dich Hauptmann Rebrow gefragt?«
»Ob ich Winogradow kenne.«
»Und?«
»Woher soll ich ihn kennen?«
»Winogradow ist der Vorsitzende des Dalkraj-Gerichts.«
»Das weißt du, aber ich — weiß nicht, wer Winogradow ist.«
»Ich habe mit ihm studiert.«
Ich begann etwas zu begreifen. Parfentjew war vor seiner Verhaftung Gebietsstaatsanwalt in Tscheljabinsk und karelischer Staatsanwalt. Auf der Durchreise im Bergwerk »Partisan« erfuhr Winogradow, daß sein Studienkamerad in der Mine ist, übergab ihm Geld und bat den »Partisan«-Chef Anissimow, Parfentjew zu helfen. Parfentjew wurde als Hammerschmied in die Schmiede versetzt. Anissimow meldete Winogradows Bitte an den NKWD, an Smertin, jener meldete nach Magadan, an Hauptmann Rebrow, und der SPO-Chef ging daran, ein Verfahren gegen Winogradow zu fabrizieren. Alle Juristen unter den Häftlingen in allen Bergwerken des Nordens wurden verhaftet. Der Rest war eine Sache der Ermittlungstechnik.
»Und warum sind wir hier? Ich war im Zelt...«
»Man läßt uns frei, Dummkopf«, sagte Parfentjew.
»Läßt uns frei? Ganz? Das heißt nicht ganz, sondern in die Etappe, ins Durchgangslager?«
»Ja«, sagte der dritte Mann, der ans Licht kroch und mich mit deutlicher Verachtung ansah.
Eine wohlgenährte rosige Fresse. Gekleidet war er in einen schwarzen Doppelpelz, das Zephirhemd war auf seiner Brust aufgeknöpft.
»Was, ihr kennt euch? Hat es Hauptmann Rebrow nicht geschafft, euch zu zerquetschen? Volksfeind...«
»Und du bist ein Freund des Volkes ?«
»Na, jedenfalls wenigstens kein Politischer. Ich hab keine Romben getragen. Hab die werktätigen Menschen nicht verhöhnt. Wegen euch, wegen solcher, sitzen auch wir.«
»Krimineller, was?«, sagte ich.
»Dem einen Krimineller, dem anderen Weichensteller.«
»Gut, es reicht, es reicht«, trat Parfentjew für mich ein.
»Dreckskerl. Die kann ich nicht riechen!«
Die Türen klapperten.
»Vortreten!«
An der Wache drängten sich etwa sieben Personen. Parfentjew und ich stellten uns dazu.
»Was seid ihr, Juristen?«, fragte Parfentjew.
»Ja! Ja!«
»Und was ist passiert? Warum läßt man uns frei?«
»Hauptmann Rebrow ist verhaftet. Alle sollen freigelassen werden, die auf seine Anweisung...«, sagte leise ein Allwissender.
1962
Typhusquarantäne
Der Mann im weißen Kittel streckte die Hand aus, und Andrejew legte seine
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