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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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gedacht, wir würden wieder im geheizten Gefängnisbus fahren, doch der »Rabe« war nirgends zu sehen. Ein gewöhnlicher Dreitonner stand an der Vortreppe.
    »Einsteigen.«
    Gehorsam wälzte ich mich über die Seitenwand.
    Der junge Soldat stieg in die Fahrerkabine. Der Pockennarbige setzte sich neben mich. Der Lastwagen fuhr los, und nach einigen Minuten waren wir auf der Trasse.
    Wohin fahren sie mich? Nach Norden oder Süden? Nach Westen oder Osten?
    Ich brauchte nicht zu fragen, und der Begleitposten darf auch nicht sprechen.
    Übergeben sie mich an einen anderen Abschnitt? An welchen?
    Der Laster ruckelte viele Stunden und blieb plötzlich stehen.
    »Hier essen wir Mittag. Aussteigen.«
    Ich stieg aus.
    Wir gingen in die Trassenkantine.
    Die Trasse ist die Arterie und der Hauptnerv der Kolyma. In beide Richtungen bewegen sich ununterbrochen Techniktransporte — unbewacht, und Lebensmitteltransporte — mit obligatorischer Begleitung: entlaufene Häftlinge überfallen und plündern sie. Und auch vor dem Chauffeur und dem Versorgungsagenten ist der Begleitposten ein wenn auch nicht sicherer, so dennoch ein Schutz — er kann Diebstahl verhindern.
    In den Trassenkantinen treffen sich Geologen, Schürfer der Prospektierungstrupps, die mit dem verdienten schnellen Rubel in Urlaub fahren, und illegale Verkäufer von Tabak und
tschifir
, Helden des Nordens und Schurken des Nordens. In den Kantinen wird hier immer Spiritus verkauft. Man trifft sich, streitet, prügelt sich, tauscht Neuigkeiten aus und hat es eilig, sehr eilig... Man läßt den Motor laufen und legt sich selbst in der Kabine für zwei, drei Stunden schlafen, um sich zu erholen und weiterzufahren. Hier bringt man auch die Häftlinge in reinlichen ordentlichen Trupps hinauf, in die Tajga, und als schmutzigen Haufen Müll wieder herunter, aus der Tajga zurück. Hier sind auch die Geheimdienstspitzel, die Entlaufene jagen. Auch die Entlaufenen selbst — oft in Militäruniform. Hier fahren in ihren SIS-Limousinen die Chefs — die Herren über Leben und Tod all dieser Leute. Einem Dramatiker müßte man den Norden hier in dieser Trassenkantine zeigen — das ist die beste Bühne.
    Dort stand ich und versuchte, mich näher an den Ofen durchzuschieben, den riesigen, rotglühenden Kanonenofen. Die Begleitposten waren nicht allzu besorgt, daß ich fliehe — ich war zu geschwächt, und das sah man genau. Jedem war klar, daß ein
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bei fünfzig Grad Frost nirgendwohin fliehen kann.
    »Setzt dich hin und iß.«
    Der Begleitposten kaufte mir einen Teller heiße Suppe und gab mir Brot.
    »Gleich fahren wir weiter«, sagte der Junge. »Wenn der Postenführer kommt, geht’s weiter.«
    Doch der Pockennarbige kam nicht allein. Mit ihm war ein älterer Kämpfer (Soldaten nannte man sie zu jener Zeit noch nicht) mit Gewehr und im Halbpelz. Er sah mich und dann den Pockennarbigen an.
    »Warum nicht, in Ordnung«, sagte er.
    »Gehen wir«, sagte mir der Pockennarbige.
    Wir gingen in eine Ecke der riesigen Kantine. Dort saß an der Wand zusammengekrümmt ein Mann in Steppjacke und mit BAM-Lager-Mütze, einer schwarzen Flanellmütze mit Ohrenklappen.
    »Setz dich hierhin«, sagte mir der Pockenarbige.
    Ich ließ mich gehorsam neben jenem Menschen auf den Boden sinken. Er rührte sich nicht.
    Der Pockennarbige und der unbekannte Kämpfer gingen. Mein junger Begleitposten blieb bei uns.
    »Die nehmen sich eine Erholungspause, kapiert?«, flüsterte mir plötzlich der Mann mit der Häftlingsmütze zu. »Sie haben kein Recht.«
    »Ja, da hört sich doch alles«, sagte ich. »Sollen sie machen, wie sie wollen. Stört dich das vielleicht?«
    Der Mensch hob den Kopf.
    »Ich sage dir, sie haben kein Recht...«
    »Und wohin fahren sie uns?«, fragte ich.
    »Wohin sie dich fahren, weiß ich nicht, mich jedenfalls nach Magadan. Zur Erschießung.«
    »Zur Erschießung?«
    »Ja. Ich bin verurteilt. Aus der Westlichen Lagerverwaltung. Aus Sussuman.«
    Das gefiel mir gar nicht. Aber ich kannte ja die Ordnung nicht, die Verfahrensordnung bei der Höchststrafe. Ich schwieg betroffen.
    Der pockennarbige Kämpfer erschien zusammen mit unserem neuen Reisegefährten.
    Sie begannen etwas miteinander zu bereden. Kaum waren mehr Begleitposten zusammen, wurden sie schroffer, gröber. Mir kauften sie in der Kantine schon keine Suppe mehr.
    Wir fuhren wieder einige Stunden, und in einer Kantine brachten sie drei weitere zu uns — die Etappe, der Trupp war schon beträchtlich.
    Die drei

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