Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)
hölzernen Barriere. Ein Telefon. Ärmlicher als beim Genossen Smertin in Chattynach. Vielleicht auch deshalb, weil es das erste solche Kabinett in meinem Leben an der Kolyma war.
Vom Korridor führte eine steile Treppe in den ersten Stock. Ich wartete nicht lange. Die Treppe herunter kam derselbe Mann im Anzug, der uns auf der Straße empfangen hatte.
»Kommen Sie hierher.«
Wir stiegen die schmale Treppe hinauf in den ersten Stock und gingen bis zu einer Tür mit der Aufschrift: »J. Atlas, Oberbevollmächtigter.«
»Setzen Sie sich.«
Ich setzte mich. In dem winzigen Kabinett nahm den meisten Platz der Schreibtisch ein. Papiere, Aktendeckel, irgendwelche Listen.
Atlas war etwa achtunddreißig oder vierzig. Füllig, ein Mann von sportlichem Äußeren, schwarzhaarig, beginnende Glatze.
»Name?«
»Andrejew.«
»Vorname, Vatersname, Artikel, Haftdauer?«
Ich antwortete.
»Jurist?«
»Ja.«
Atlas sprang auf und rannte um den Tisch.
»Ausgezeichnet! Mit Ihnen wird Hauptmann Rebrow sprechen!«
»Und wer ist Hauptmann Rebrow?«
»Der Chef der SPO. Gehen Sie nach unten.«
Ich kehrte an meinen Platz am Heizkörper zurück. Nach einigem Nachdenken über die Neuigkeiten beschloß ich, beizeiten das Kilogramm »Weißes« zu essen, das mir die Begleitposten gegeben haben. Ein Behälter mit Wasser und ein daran festgeschmiedeter Becher waren auch da. Die Wanduhr tickte gemessen. Im Halbschlaf hörte ich, wie jemand mit schnellen Schritten an mir vorbei nach oben lief, und der Diensthabende weckte mich.
»Zu Hauptmann Rebrow.«
Man brachte mich in den ersten Stock. Die Tür eines kleinen Kabinetts ging auf, und ich hörte eine schroffe Stimme:
»Hierher, hierher!«
Ein gewöhnliches Kabinett, etwas größer als das, in dem ich vor zwei Stunden war. Die glasigen Augen Hauptmann Rebrows waren direkt auf mich gerichtet. An der Ecke des Tischs stand ein halbleeres Glas Tee mit Zitrone, eine angenagte Käserinde auf der Untertasse. Telefone. Aktendekkel. Porträts.
»Name?«
»Andrejew.«
»Vorname? Vatersname? Artikel? Haftdauer? Jurist?«
»Jurist.«
Hauptmann Rebrow beugte sich über den Tisch, näherte mir seine gläsernen Augen und fragte:
»Kennen Sie Parfentjew?«
»Ja.«
Parfentjew war mein Brigadier in der Gewinnungsbrigade in der Grube, bevor ich zu Schmeljows Brigade kam. Von der Brigade Parfentjew wurde ich in die Brigade Poturajew versetzt und von dort zu Schmeljow. Bei Parfentjew hatte ich einige Monate gearbeitet.
»Ja, ich kenne ihn, das ist mein Brigadier, Dmitrij Timofejewitsch Parfentjew.«
»Aha. Gut. Das heißt, Sie kennen Parfentjew?«
»Ja, ich kenne ihn.«
»Und kennen Sie Winogradow?«
»Winogradow kenne ich nicht.«
»Winogradow, den Vorsitzenden des Dalkraj -Gerichts?«
»Ich kenne ihn nicht.«
Hauptmann Rebrow zündete sich eine Papirossa an, nahm einen tiefen Zug und betrachtete mich weiter und hing seinen Gedanken nach.
Hauptmann Rebrow drückte die Papirossa auf der Untertasse aus.
»Also, du kennst Winogradow, und Parfentjew kennst du nicht?«
»Nein, ich kenne Winogradow nicht...«
»Ach, ja. Du kennst Parfentjew, und Winogradow kennst du nicht. Na gut!«
Hauptmann Rebrow drückte den Klingelknopf. Die Tür hinter meinem Rücken öffnete sich.
»Ins Gefängnis!«
Die Untertasse mit der Zigarettenkippe und der angebissenen Käserinde blieben im Kabinett des Chefs der SPO, auf dem Schreibtisch rechts, neben der Wasserkaraffe.
Tief in der Nacht führte mich der Begleitposten durch das schlafende Magadan.
»Geh schneller.«
»Ich habe es nicht eilig.«
»Noch ein Wort!« Der Kämpfer zog die Pistole. »Ich knall dich ab wie einen Hund. Von den Listen streichen ist nicht schwer.«
»Du streichst mich nicht«, sagte ich. »Dafür stehst du vor Hauptmann Rebrow gerade.«
»Vorwärts, Kanaille!«
Magadan ist eine kleine Stadt. Bald waren wir am »Waskow-Haus« , wie das örtliche Gefängnis heißt. Waskow war der Stellvertreter Bersins, als Magadan gebaut wurde. Das hölzerne Gefängnis war eines der ersten Gebäude von Magadan. Das Gefängnis behielt den Namen des Mannes, der es erbaut hatte. In Magadan wurde längst ein Stein-Gefängnis gebaut, doch auch dieses neue, »komfortable« Gebäude auf dem neuesten Stand der Pönitenzialtechnik heißt »Waskow-Haus«.
Nach kurzem Verhandeln an der Wache wurde ich in den Hof des »Waskow-Hauses« gelassen. Ein niedriger, gedrungener, langgezogener Gefängnisblock aus glatten schweren Lärchenbalken. Über den Hof
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