Durch den Sommerregen
genug, um sich das T-Shirt über den Kopf zu ziehen und dann wieder seine Lippen auf meine zu pressen. Ich verschwende keine Zeit, meine Hände auf seinem nackten Rücken zu platzieren und kann kaum einen frustrierten Seufzer unterdrücken, weil ich nur mit meiner rechten, nicht verbundenen Hand fühlen kann.
Dennoch spüre ich die feinen Linien unter meinen Fingerkuppen. Langsam lasse ich sie über seine warme Haut wandern. Das Tattoo nimmt offensichtlich fast den gesamten Rücken ein.
„Darf ich es mir anschauen?“, frage ich.
Wortlos dreht er sich um und stützt sich mit den Händen auf dem Tisch ab.
Das Licht ist mehr als ausreichend, um es erkennen zu können, doch das ändert nichts daran, dass ich einen Moment brauche, um zu begreifen, was ich dort sehe.
„Wunderschön.“ Mit meiner unverletzten Hand streiche ich über den stolzen, nachtschwarzen Raben, der vom Schulterblatt bis zum unteren Rücken reicht. Nur mit schwarzer Tinte gestochen, sieht er so plastisch aus, als würde er sich jeden Moment bewegen.
Gabriel atmet schwer unter meiner Berührung. Wir kennen uns erst kurz, doch ich spüre, dass nicht Erregung sexueller Natur der Auslöser ist. Ganz im Gegenteil, er ringt um Fassung. Dieses Tattoo hat eine tiefe Bedeutung für ihn und er bemüht sich, nicht zusammenzubrechen.
Ich erkenne das Gefühl, weil es mir zu vertraut ist.
Nur für ein paar Sekunden schlinge ich meine Arme um seine Taille und küsse ihn zwischen die Schulterblätter. Dann ziehe ich das T-Shirt aus seinen verkrampften Finger hervor und helfe ihm, es wieder überzustreifen.
Ich habe das Gefühl, er hat mir damit gerade großes Vertrauen bewiesen. Obwohl ich bezweifle, dass ich die erste Frau bin, die ihn in letzter Zeit nackt gesehen hat.
Wieder bekleidet dreht Gabriel sich zu mir und fährt sich nervös durch die Haare. Falls er glaubt, dass ich eine Erklärung erwarte, ist er schief gewickelt. Sein Vertrauen verdiene ich nicht und Erklärungen seinerseits führen nur zu Forderungen an mich.
„Also wolltest du mir zeigen, was du hier machst?“, lenke ich ab.
„Ja, wollte ich.“ Immer noch ziemlich abwesend geht er zu einem Stuhl in der Ecke des Raums und nimmt den dort abgelegten Laptop hoch. Er stellt ihn in die Mitte des Tischs und klappt ihn auf. Während der hochfährt, packt Gabriel mich an den Hüften und setzt mich auf die Tischplatte.
„Jetzt zerstöre ich zwar komplett das Image, das du mir gerne anheften möchtest, aber da musst du durch.“
Über den Computer gebeugt, legt er einen Arm um meine Taille. Mit der freien Hand bearbeitet er das Touchpad, um einen Ordner aufzurufen. Ich muss ihm einfach durch die braunen Locken fahren. Mit einem genüsslichen Seufzen schließt er die Augen und vergräbt das Gesicht in meinem Schoß. Ich kann seinen heißen Atem durch den Stoff meiner Jeans spüren.
„Also los, zerstör dein Bad-Boy-Image“, sage ich und ziehe ihn leicht an den Haaren.
Nur sehr unwillig konzentriert er sich wieder auf den Laptop.
„Dazu muss ich dir was erklären“, sagt er, bevor er den aufgerufenen Ordner öffnet. „Ich bin kein professioneller Fotograf. Nichts davon hab ich gelernt und alles habe ich mir auf eigene Faust angeeignet.“
„Nun zeig schon. Wenn du schlecht wärst, dann hättest du dir hier kein Studio eingerichtet.“
„Die Bilder sind sehr intim, Helena. Eigentlich sollte ich das niemandem zeigen.“
„Dann lass es.“ Ich will wirklich keine Fotos von nackten Weibern sehen, die er vielleicht mal in seinem Bett hatte.
„Ich will es aber. Es ist nicht das, was du erwartest. Bei ausgewählten Eltern, mit denen meine Mutter das vorher auf Wunsch verabredet hat, gehe ich sofort nach der Entbindung in den Kreissaal und mache Aufnahmen von der neuen Familie.“
Stimmt, das habe ich wirklich nicht erwartet. Jetzt hat er meine Aufmerksamkeit.
„Du musst entscheiden, ob es in Ordnung ist, mir diese Bilder zu zeigen. Ich würde gerne sehen, was du kannst.“
Ohne Umschweife öffnet er den Ordner und startet eine Diashow. Was er mir da zeigt, verschlägt mir die Sprache. Die Bilder gehen wahrscheinlich gegen jede Regel der Fotografie und sind gerade deswegen perfekt. Es hat ausschließlich in schwarz-weiß fotografiert, doch ansonsten auf jede Bearbeitung verzichtet. Man sieht noch den Schweiß auf der Stirn der Mütter und die Glückstränen. Auch die völlig überwältigten und verängstigen Gesichter der Väter hat er nicht ausgespart. Gerade weil er die ganzen
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