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Durch den Sommerregen

Durch den Sommerregen

Titel: Durch den Sommerregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Hinz
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ignorierend schiebt er mich zur Wohnungstür und nach unten auf die Straße. Zielstrebig steuert er auf den Shop zu und nimmt einen Schlüssel aus der Tasche.
    „Was jetzt? Werde ich zwangstätowiert?“
    Mit dem Kommentar ernte ich nur ein entnervtes Augenrollen. Er leitet mich ins Büro und holt aus der Schreibtischschublade eine Flasche Whiskey und zwei Gläser, in die er sogleich einschenkt.
    „Was wird das hier, Gabriel? Ich zeig dir meins, dann zeigst du mir deins?“
    „So in der Art. Trink aus!“, befiehlt er und schiebt mir das Glas rüber.
    „Warum brauche ich dazu Alkohol? Und warum ausgerechnet hier im Shop?“
    „Vertrau mir, den hast du gleich dringend nötig. Der Shop ist neutraler Boden. Ich werde deine Wohnung nicht mit einer Erinnerung an diese Unterhaltung vergiften. Du schläfst schon nicht in deinem Bett, also sollte wenigstens das Wohnzimmer frei von bösen Geistern bleiben.“
    Ich fürchte, jetzt hat er den Verstand verloren.
    „Was kann so schlimm sein?“
    Nur widerwillig schütte ich den Whiskey runter und schüttele mich noch in derselben Sekunde vor Ekel.
    „Du zuerst, dann sag ich es dir.“
    Das wird wahrscheinlich unser letzter Tag, weil er dann alles weiß, aber er lässt ja nicht locker. Ich schiebe ihm mein Glas herüber, damit er mir nachschüttet. Der Zweite geht schon besser runter und brennt nicht mehr so in der Kehle.
    Es hat keinen Sinn, dieses Gespräch weiter hinauszuzögern.
    „Zu dem Zeitpunkt, als mein Mann mit dem Auto verunglückt ist, standen wir kurz vor der Trennung. Niemand weiß davon, weder meine Eltern noch seine Familie. Wir haben es wunderbar geschafft, die Fassade aufrecht zu erhalten, während wir hinter verschlossenen Türen kein nettes Wort füreinander übrig hatten. Versteh das nicht falsch, er war kein schlechter Mann und es gab auch keine bitterbösen Streitigkeiten. Wir haben es einfach geschafft, uns so weit voneinander zu entfernen, dass wir auf keinen gemeinsamen Nenner mehr gekommen sind. Es macht jetzt keinen Sinn, auf der Schuldfrage herumzureiten. Wir haben uns beide nicht mit Ruhm bekleckert. Ich kann da mit niemandem drüber reden, denn es würde unsere Familien verletzen, wenn ich sage, dass mir sein Tod nicht so viel ausmacht, wie es bei einer trauernden Witwe eigentlich sein sollte.“
    Auch den dritten Whiskey schütte ich in einem Zug runter, was Gabriel mit einem zufriedenen Nicken zur Kenntnis nimmt.
    „Ich habe ihn schließlich nur noch gehasst und auf eine kurze und schmerzlose Trennung gehofft. Wie auch immer die aussehen sollte“, fahre ich fort. „Meinen Willen habe ich dann bekommen.“
    Man könnte auch sagen, ich habe ihn in den Tod geschickt. Objektiv betrachtet ist das natürlich Schwachsinn.
    „War es das?“, fragt er schließlich mit einer gewissen Kälte in der Stimme.
    „Nicht ganz. Ich hab das noch nie ausgesprochen, Gabriel.“
    „Sag es einfach. Nichts kann so schlimm sein, wie das, was ich dir gleich zu sagen habe.“
    Das bezweifle ich.
    „Ich wollte nicht die Schuldige sein und eigentlich hat mich der Gedanke an eine Scheidung gegraut. Bis ich schließlich an einem Punkt war, an dem ich mir heimlich seinen Tod gewünscht habe. Nicht weil er etwas Schlimmes getan hat, sondern lediglich um es mir leicht zu machen. Welcher Mensch denkt so etwas? Ich bin eine fürchterliche Person und ich weiß nicht, wie ich je wieder Glück verdienen kann.“
    Seine geringe Anteilnahme bestätigt, dass ich mir das alles selbst eingebrockt habe und es eigentlich gar keinen Grund zum Jammern gibt.
    Auch Gabriel trinkt jetzt sein drittes Glas leer. Oder ist es schon das Vierte?
    „Schau mich an, Helena.“ Seine Miene ist unbewegt wie eine Maske und in seinen sonst lebendigen Augen scheint jeder Funke erloschen zu sein.
    Was jetzt kommt, darauf hätte mich nichts und niemand vorbereiten können.
    „Ich hab meinen Vater getötet.“

17.
    Das ist nicht in Ordnung. Er darf mir das nicht ohne Einleitung an den Kopf knallen. Außerdem kann es nicht stimmen. Nicht Gabriel.
    „Würdest du das näher ausführen? Muss ich jetzt Angst vor dir haben?“ Vor ihm kann ich keine Angst haben, auch wenn es vielleicht naiv ist. Wir wissen nicht viel voneinander.
    „Oh Gott, nein. Helena. Ich bin ein Idiot.“ Er schlägt die Hände vorm Gesicht zusammen und schüttelt den Kopf.
    „Es ist ... ich habe ...“, stammelt er vor sich hin. „Gerade hab ich das zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ausgesprochen. Aber ich hab dich gewarnt,

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