Durch den Sommerregen
nachdem du davon weißt, wirst du mich nicht mehr sehen wollen.“
„Was soll das werden? Willst du mich übertrumpfen?“
Wir hätten nicht trinken sollen. Dieses Gespräch gerät außer Kontrolle.
„Übertrumpfen? Glaubst du, ich bin stolz darauf? Du willst wissen, was es mit dem Raben auf sich hat? Willst du wirklich wissen, was an dem Tag passiert ist, als mein Vater auch nicht mehr davor zurückgeschreckt ist, seine hochschwangere Frau zu verprügeln und ihr das Baby aus dem Bauch zu treten? Diese ganze Scheiße willst du wirklich wissen, inklusive allem, wozu ich fähig bin?“
„Du bist kein Mörder, Gabriel“, flüstere ich. In seinen Augen sehe ich, dass er davon kaum zu überzeugen ist.
„Er hat das gemacht, seit ich denken kann und meine Mutter hat immer nur eingesteckt. Nie hat er mich angefasst, abgesehen von den Tagen, an denen er mich achtlos in eine Ecke geschleudert hat, wenn ich meiner Mama helfen wollte.“
Verloren wie ein kleiner Junge sinkt er in sich zusammen und scheint völlig in der Vergangenheit gefangen.
„Mit 16 war ich schließlich größer als er und ab dem Zeitpunkt hat er es nicht mehr gewagt, in meiner Anwesenheit Mama anzugehen. Ich war fassungslos, als sie wieder von ihm schwanger war, weil das für mich hieß, dass wir nie aus dieser Situation rauskommen würden. Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, stand meine Mutter im ersten Stock unseres Hauses, mit zugeschwollenem Gesicht und das Blut lief ihr durch die Hose an den Beinen herunter. Sie hat gehustet und konnte kaum sprechen, was durch die Würgemale an ihrem Hals zu erklären war. In der Sekunde ist etwas bei mir ausgeklinkt. Ich bin die Treppe raufgerannt und habe ihn im Schlafzimmer gefunden, wo er es sich vor dem Fernseher bequem gemacht hat. Ich habe ihn vom Bett hochgezogen und in den Flur geschubst. Er war überrascht von meiner Reaktion und fing dennoch an, mich zu provozieren, was ich doch für ein Muttersöhnchen sei.“
Gabriel verschluckt sich an einem Schluchzer. Dieser äußerlich harte Kerl sieht aus wie ein geschlagener Hund, und der Anblick bricht mir das Herz. Trotzig wischt er sich die Tränen aus dem Gesicht, sieht jedoch stur an mir vorbei.
„Ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, habe ich auf ihn eingeprügelt, was er natürlich nicht auf sich hat sitzen lassen. In dem Gerangel sind wir zusammen die Treppe heruntergestürzt. Bei dem Aufprall hat er sich das Genick gebrochen und war sofort tot, aber ich konnte nicht aufhören, auf ihn einzuschlagen. Die Schreie meiner Mutter ... Oh Gott“, keucht er und fängt an zu würgen. In letzter Sekunde schafft er den Sprint zur Toilette, die glücklicherweise gleich ans Büro grenzt. Ich kann sein gequältes Stöhnen hören, aber ich bin nicht in der Lage, mich zu rühren. Wie kann jemand so etwas über Jahre mit sich rumschleppen, ohne daran zu zerbrechen? Ich habe viele Fragen, doch ich brauche erst mal eine gewisse Zeit, um das zu verarbeiten. Das ist verdammt heftig und lässt die Beziehung zu seiner Mutter in einem ganz anderen Licht erscheinen. Überlebende haben eine besondere Bindung, unabhängig davon, wie eng das Band zu Beginn schon war.
„Kannst du mich nach Hause bringen?“, höre ich seine kratzige Stimme hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um. Er sieht aus wie der Tod und zittert am ganzen Körper.
„Nein, vergiss es. Ich ruf jemanden an“, krächzt er mir entgegen. „Du willst jetzt sicher alleine sein.“
„Das kommt gar nicht in Frage. Ich bin viel zu betrunken, um Auto zu fahren. Du kommst mit zu mir. Außerdem, wieso sollte ich jetzt alleine sein wollen? Willst du es?“
„Nein, auf keinen Fall. Aber ich würde es verstehen, wenn ...“
„Unsinn. Mit dieser Geschichte vertreibst du mich nicht. Ganz im Gegenteil. Du hast deine Mutter geschützt und nichts falsch gemacht. Er hat euch jahrelang terrorisiert, natürlich reagiert man da nicht mehr rational, wenn es zum Äußersten kommt.“
In seinem Blick liegen dennoch die ganzen Schuldgefühle, die sich über die Jahre angestaut haben und nichts was ich sage, kann ihm das nehmen.
Irgendwie schaffe ich es, Gabriel in meine Wohnung zu bringen, obwohl er kaum auf den eigenen Beinen stehen kann. Ich schiebe ihn ins Schlafzimmer, wo er sich gleich aufs Bett fallen lässt. Ich ziehe ihm die Schuhe aus und lege ihm meine Bettdecke und noch eine zweite Wolldecke über.
Noch nie habe ich einen Menschen so schnell abbauen sehen. „Willst
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