Durch den Sommerregen
weiß nicht, was ich sagen soll, also schlinge ich von hinten meine Arme um ihn und beobachte über seine Schulter, wie sein Gesicht allmählich glatt und für mich vorerst etwas fremd wird. Wir sind beide bei Weitem noch nicht geheilt, so stark Gabriel sich auch gerne geben möchte.
32.
Ich sehe es ihr an. Emma ist ein Wrack. Sie tritt von einem Bein auf das andere und wartet nur darauf, dass Steffi die Tür aufschließt und die Gäste ihrer Lesung einlässt. Dabei sieht sie eher aus, als wollte sie jeden Moment flüchten.
Mit Absicht haben wir den Termin eine Stunde nach unserer abendlichen Schließzeit gelegt, denn während der normalen Öffnung wären wir dem Andrang nicht Herr geworden.
Normalerweise sind diese Veranstaltungen bei uns gratis und ohne vorherige Anmeldung möglich, aber bei Emma mussten wir Karten verkaufen, alleine schon um einen zu großen Auflauf ihrer Fans zu verhindern.
„Wo ist Sam?“, frage ich zaghaft, um sie nicht noch mehr aus der Ruhe zu bringen. Ich weiß, dass er eigentlich nur noch Mila zu seinen Eltern bringen und dann sofort hierher fahren wollte. Das war vor über zwei Stunden.
„Keine Ahnung“, sagt sie und kaut nervös auf der Innenseite ihrer Wange. „Er müsste jeden Augenblick hier sein.“
Genauso wie Gabriel, der auch kommen wollte. Markus hält die Stellung im Shop, aber er wollte die Gelegenheit nutzen, unauffällig meinen Arbeitsplatz abzuchecken und natürlich auch Emma bei ihrer Lesung zu unterstützen. Bis vor drei Tagen war sie sich noch absolut sicher, dass bestimmt niemand kommt und sie dann alleine hier sitzt. Schließlich musste ich ihr die Abrechnung für den Vorverkauf zeigen, damit sie mir glaubt, dass sie nicht alleine bleiben wird.
Jetzt muss ich nur einen Blick aus dem Fenster werfen und sehe schon die Schlange, die sich am Eingang gebildet hat. Selbst der heftige Regenfall hält sie nicht davon ab, tapfer auf Einlass zu warten. Einhundert Karten sind weggegangen und wir hätten noch wesentlich mehr verkaufen können, wenn wir mehr Platz gehabt hätten.
Alle Gäste sitzen und warten gespannt auf Emma, die sich in unserer Teeküche verkriecht. Unsere Männer sind immer noch nicht hier und inzwischen bin ich richtig angepisst. Emma ist kurz davor in Tränen auszubrechen, weil Sam es scheinbar nicht für nötig hält, hier aufzutauchen. Mehrfach hat sie versucht ihn anzurufen und Nachrichten zu schreiben, aber er reagiert nicht.
„Hast du es mal bei seinen Eltern versucht?“, frage ich und versuche wirklich, mich nicht zu sehr über Gabriels Fernbleiben aufzuregen, aber es gelingt mir nicht.
„Hab ich. Mila ist da und er ist vor etwa anderthalb Stunden dort schon weggefahren. Ich weiß, dass er noch kurz nach Hause wollte, um sein Motorrad zu holen.“
„Es regnet draußen“, sage ich verwundert. „Warum kommt er nicht mit dem Auto?“
„Ich weiß“, seufzt Emma. „Aber er versucht, jede Gelegenheit ohne Mila zu nutzen, um damit zu fahren.“
Auch ich versuche zum wiederholten Male, Gabriel zu erreichen, doch immer noch erfolglos. Ich hasse das, denn ich will nicht diejenige sein, die ihm hinterhertelefoniert, wenn er sich spontan entschlossen hat, doch Besseres zu tun zu haben. Trotzig schalte ich mein Handy auf lautlos und schiebe es in meine Hosentasche.
„Es geht kein Weg daran vorbei, Emma. Du musst jetzt raus“, sage ich und zeige zur Tür.
„Ich weiß“, antwortet sie leise seufzend. Sie versucht die Fassung zu bewahren, obwohl ihr Mann nicht da ist. Es tut mir leid für sie und macht mich unglaublich wütend auf Sam. Und Gabriel. Letztendlich bestätigt es sich doch wieder. Wenn man die Männer braucht, dann sind sie nicht da.
Emma steht die Lesung und die anschließende Signierstunde durch, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Natürlich spüre ich ihre Anspannung, aber ich denke nicht, dass ihre Fans etwas wahrgenommen haben.
„Wo sind die beiden?“, fragt sie schließlich mit deutlicher Verzweiflung, als auch der Letzte die Bücherei verlassen hat. „Das ist überhaupt nicht Sams Art. Ich hab ein ganz schlechtes Gefühl.“ Sie zieht ihr Handy aus der Hosentasche und wählt erneut seine Nummer, doch keine Reaktion. Auch mein Telefon bleibt stumm.
In dem Moment sehe ich Markus, der den Weg zur Tür hochläuft und mit ziemlich bleicher Miene an die Eingangstür klopft. Emma stößt einen gequälten Laut aus, als sie ihn entdeckt. Irgendetwas ist ganz furchtbar falsch hier, aber ich kann es noch nicht
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