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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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ein und rutschte sorgfältig seinen Stuhl zurecht. Der nächste Flug war gelandet, die ersten Passagiere kamen zum Gepäckband. Sie wollte nicht allein sein, sie konnte nicht allein sein, sie war dafür nicht gemacht.
    Sie legte die Hände gespreizt auf ihre Jeans, ihre wasserblaueJeans. Blau, wasserblau, Wasser, vielleicht war er am Wasser, irgendwo am Wasser. In Japan am Meer. Vielleicht saß er in Japan am Meer und schaute auf das gleiche Blau, auf das sie gerade schaute, nur dass ihr Blau direkt auf ihrer Haut lag und seines sich bis zum Horizont zog. Sie verließ das Flughafengebäude und stieg ins Auto. Sie würde nicht kämpfen können, das hatte sie noch nie gekonnt, kämpfen war nicht ihre Sache. Sie würde es irgendwie hinnehmen müssen.
     
    Es war Sonntagmorgen. Ein ganz normaler Sonntagmorgen – mit Verkehr, mit Wetter, mit ganz normalen Liedern im Radio, die man wenigstens wieder abdrehen konnte. Sie schaute auf die Datumsanzeige. Die Zahlen leuchteten ihr entgegen. Das Fest war eine Woche her, eine einzige Woche. Wenn er nun wirklich verschwunden wäre, wenn sie nun ohne ihn weiterleben müsste? Feiern würde sie ohne ihn können, irgendwann, wenn Leichtigkeit kein Verrat mehr bedeutete, aber nicht leben, das nicht. Sie schüttelte sich und versuchte so, diese Sätze zu zerstreuen, auf dass sie sich anders zusammensetzten. Noch konnte sich doch alles aufklären. Niemand verschwand einfach so.
     
    Sie war den Weg vom Flughafen Tegel nach Mitte schon oft gefahren, aber ihr war noch nie aufgefallen, dass er durchgehend von Bodenwellen geprägt war. Ein sanftes Auf und Nieder – die ganze Strecke. Sie ließ den Westhafen auf ihrer linken Seite liegen. Eine Hupe ertönte, viel zu tief für einen Lastwagen, viel eher wie das Horn eines Dampfers. Vielleicht war er an einem Hafen, vielleicht saß er an einem großen japanischen Hafen, wo Dampfer ein- und ausliefen, und wartete auf sein Schiff – in das er nicht einsteigen würde, weil er hier auch nicht ausgestiegen war. Es war nicht mehr weit biszu Yoko, doch das Straßenbild begann zu verschwimmen. Das eine Bein auf dem Gaspedal, das andere auf der Kupplung. Die Beine gabelten sich wie die Finger, und wenn sie sie jetzt aneinanderdrückte, dann würde sie früher oder später absaufen. Das gleiche Zeichen.
    Sie parkte ein und wunderte sich, dass sie ihren Wagen nicht vertäuen musste, dass er einfach so stehenblieb an seinem Platz und nicht weggeschwemmt oder gegen den Bordstein gedrückt wurde. Sie stieg aus, ging zu Yokos Haus hinüber, ihr Blick fiel auf die Uhr im Eingang. Den Zeigern zufolge waren vier Stunden vergangen – seit Victors Flugzeug gelandet und er nicht ausgestiegen war.
     
    Yokos Blick spiegelte Alisons Zustand, als sie die Tür öffnete.
    »Alison, wo kommst du ...?« fragte Yoko. »Was ist denn passiert? Was ist mit dir passiert?«
    Sie hörte Yoko sprechen.
    »Ist was mit Victor ...?«
    »Er ist nicht gekommen, nicht aus Japan zurückgekommen, er ist verschwunden.«
    »Hast du seine Sekretärin angerufen?«
    Alison nickte: »Bei ihm, seiner Sekretärin, im Hotel. Nichts. Keine Nachricht.«
    »Das passt nicht zu ihm«, sagte Yoko.
    »Wie viele Häfen gibt es in Japan?« fragte Alison.
    Sie sah, wie Yoko sie ansah.
    »Und Kugelfische?« fragte sie.
    Sie fühlte, wie Yoko sie an die Hand nahm.
    »Ihr Gift – wie hoch ist die Dosis für einen sicheren Tod? Weiß das überhaupt irgendwer?«
    Yoko drückte sie aufs Sofa, holte eine weiße Decke und gab ihr eine Schale mit heißem Wasser.
    »Man kann das Herz nur größer machen, indem man es zerreißt«, sagte sie.
    Dann steckte Yoko die Decke hinter ihren Schultern fest: »Wo ist er?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es jetzt gerissen ist. Oder in sich zusammengefallen. Größer ist es jedenfalls nicht.«
    »Wo ist er, wo ist Victor?« fragte Yoko etwas lauter.
    »Und wo sitzt das Gift bei den Kugelfischen – im Herzen?«
    »Alison?« Sie spürte Yokos Griff an ihren Schultern. Er war stark genug, um etwas in ihr zu greifen.
    Yoko hatte ihren Namen gesagt. Ihr Name hatte eine Bedeutung. Sie schaute sie einmal kurz an.
    »Er kommt zurück«, sagte sie.
    Vielleicht würde sie jetzt weinen können.
    »Wohin? Zu wem?« fragte sie und drehte eine der Fransen der weißen Decke so lange, bis sie sich krümmte.
    »Zu dir, er kommt zu dir zurück.«
    Sie ließ wieder los, flüsterte: »Ich weiß nicht, Yoko, ich habe so ein Gefühl. Irgendwie habe ich es geahnt.«
    »Vielleicht

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