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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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den Kopf geschüttelt und ihre Hand genommen. Es konnte auch Männer geben, die sie nach so einer Frage ausgezogen und mit ihr geschlafen und ihr dann ins Ohr geflüstert hätten, dass ihr Körper so aufregend log, dass sie es gleich noch einmal ausprobieren müssten. Aber Eduard nahm das alles viel zu ernst, manchmal wollte sie gar nicht so ernst genommen werden, sondern einfach nur verführt und erobert. Das verstand er natürlich nicht.
     
    Jetzt wurde sie wieder krank, und Eduard musste den Besuch seiner Cousine mit den Kindern absagen. Sie würde es ihm gleich erzählen und dabei weinen, weil es ihr wirklich schlechtging und es wirklich schlimm war, schon wieder krank zu sein, und dann würde sie zu irgendeinem Arzt gehen, und er würde eine eitrige Angina feststellen und an die Wahrheit ihres Körpers glauben, und dann würde sie die Packung Antibiotika wieein Beweisstück nach Hause tragen. Und wenn Eduard noch einmal zu irgendwem am Telefon sagte, dass sie oder ihr Körper lüge, dann würde sie ihn irgendwann verlassen müssen.
     
    Sie wählte die Nummer von Eduards Kanzlei, und die Sekretärin sagte gleich und ohne Zögern: »Sie klingen aber nicht gut. Sind Sie krank?«
    »Nicht so schlimm«, antwortete Siri kurz angebunden.
    »Es gibt diesen wunderbaren Tee, der ihr Immunsystem wieder auf Trab bringt. Ich habe ihn hier. Soll ich ihn für Sie mitgeben?« Als Siri nichts antwortete, wurde sie durchgestellt.
    Tee? dachte sie. Sie wüsste schon etwas, was ihr Immunsystem auf Trab bringen würde, und das war mit Sicherheit kein Tee.
    Als sie Eduards Stimme hörte, waren ihr Kopf- und Halsweh schlagartig verschwunden.
    »Warum erzählst du deiner Sekretärin, dass ich krank bin?« fragte sie, und als er nicht antwortete, sagte sie: »Ihr Rot ist übrigens gefärbt.«
    Er seufzte und antwortete: »Ich liebe Blondinen, nichts als Blondinen, genauer gesagt liebe ich nur eine einzige, und zwar dich.«
    Siri lachte nur verächtlich und entgegnete: »Alles nur Beschwichtigungen, aber darum geht es gar nicht. Du musst deiner Cousine absagen. Ich war gerade beim Arzt. Angina. Schon wieder.«
    Und als Eduard stöhnte und eine kurze Weile schwieg, war sie zu allem bereit. Aber dann sagte er: »Ich komme nach Hause.«
    Und da musste sie weinen. Mit Eduard war es wie mit ihrem Körper, sie konnte ihn nicht verlassen.
     
    Die Tablette lag groß und dunkelbeige in ihrer Handfläche. Ein Valium wäre ihr lieber gewesen. Eine Rosinenschnecke und ein Valium, eben das, was Großmutter ihr früher immer gebracht hatte, aber diese Art Genesungspaket war nun Vergangenheit. Sie schluckte das Antibiotikum und ging eine Weile im Wohnzimmer vor den finnischen Photographien herum. Ein Mann stand mit einer viel zu kleinen Flügelkonstruktion auf einem Sprungturm, wie es ihn in altmodischen Seebädern gab. Sein Rücken wusste schon, dass er nicht abheben würde, aber seine Arme waren entschlossen und hatten so viel Spannung in sich, dass sie nicht aufgeben konnten. So viel Planung, so wenig Flug. Sie musste an Großmutter denken.
     
    Sie zog Eduards Bademantel über (obwohl sie angezogen war), nahm noch ein paar Schmerzmittel und fuhr dann mit dem Aufzug nach unten zu den Briefkästen. Da lag ein Brief, auf den mit Großmutters Schrift ihr Name geschrieben war. Keine Adresse, keine Briefmarke. Sie war hier gewesen?
    Als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, musste sie auf einmal laut lachen. Sie drückte die Handflächen gegen die Schläfen, aber die Tabletten schienen inzwischen ihre Wirkung zu zeigen, denn der Druck in ihrem Kopf erhöhte sich kaum noch. Die Zeilen waren absurd und verlogen. Glück, Glück, Glück. Der Aufzug setzte sich wieder in Bewegung und kam erneut im Erdgeschoss an. Ihre Nachbarin, die rothaarige Ärztin, die mit ihrem Arztmann und ihren beiden rothaarigen Arztkindern in der Wohnung über ihnen wohnte, öffnete die Tür, und ihr Mund sprang dabei kurz so weit auf, dass sie ihre Goldfüllungen sehen konnte.
    »Hallo«, sagte die Ärztin.
    »Hallo«, antwortete Siri und steckte die Hände in die Taschen des Bademantels.
    »Waren Sie eigentlich schon einmal bei uns?« fragte die Ärztin.
    »Nein«, sagte sie.
    »Wollen Sie kurz mit hoch kommen? Haben Sie Zeit?«
    Siri nickte. Warum nicht? Es war sowieso alles gleichgültig.
     
    Sie setzte sich auf einen Sessel in dem großen Raum direkt über ihrem Wohnzimmer. Die Wohnung war genau gleich geschnitten, aber sie wirkte viel kühler und gleichzeitig viel belebter.

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