Durch den Wind
Kissen. Im Traum kreiste Howard Hughes in einem dunkelvioletten Propellerflugzeug über dem Eiffelturm, und Großmutter saß unten auf dem Boden und zählte hochkonzentriert die Streben des Turms. Als sie damit fertig war, zeigte sich auf ihrem Gesicht ein kurzes Strahlen, und sie sagte den Satz: Ich habe die Romantik erklommen. Dann fing sie wieder von vorne an.
Als sie aufwachte, hörte sie Eduard mit Vera und Albert im Nebenzimmer leise sprechen, und sie spürte, wie ihre Stirn glühte und dass der Himmel oder Vera oder Howard ihr Fieber geschenkt hatten, hohes Fieber. Sie schloss die Augen wieder und dachte kurz darüber nach, wer Felix jetzt vom Kindergarten abholte, aber dann fiel ihr Eduards Organisationstalent ein, und der fiebrige Schlaf hatte sie wieder. Endlich Fieber, endlich etwas Messbares.
Irgendwann streichelte sie Eduard sanft an der Schulter. Es sei schon abends, flüsterte er, er würde sie jetzt ins Auto tragen. Sie nickte nur, und Eduard nahm sie hoch und trug sie durch die Wohnung. In seinem Blick lag tiefe Besorgnis, so als glaubte er ihr diesmal wirklich. Nur weil sie Fieber hatte. Wut mischte sich in die fiebrige Schläfrigkeit. Er braucht Beweise, immer Beweise. Doch als sie aus den Augenwinkeln sah, wie Vera Eduard einen liebevollen Blick zuwarf, legte sich die Wut wieder, und sie versuchte einfach nicht weiter zu denken, sondern sich ins Auto setzen zu lassen und nach Hause gefahren zu werden, wo Felix mit dem Kindermädchen im Kinderzimmer spielte und Eduard sie ins Schlafzimmer trug und auszog. Als sich Felix’ und ihr Blick trafen, lag keine Besorgnis in seinem Ausdruck, sondern kindliche Unbeschwertheit. Sie würde etwas unternehmen müssen, sie würde alles dafür tun, dass er sich diesen Blick bewahren konnte.
Eduards Finger knöpften ihr Hemd auf und zogen ihre Hose herunter. Sie bekam eine Gänsehaut. Das Fieber, nicht seine Berührungen. Was half das alles, wenn sie nie wieder Lust bekommen würde? Sie würde doch nicht ins Grab steigen können, ohne vorher noch einmal Sex gehabt zu haben. Und wenn jetzt nicht das Fieber gekommen wäre, dann hätte sie geweint, aber so hatte sie wenigstens Fieber, wenn sie schon keine Lust hatte. Und da musste sie wieder an Bette Davis denken und daran, dass sie vielleicht auch keine Lust auf Howard Hughes gehabt hatte, aber Howard Hughes wenigstens die waghalsigsten Experimente gemacht hatte und Loopings fliegen konnte und Milliardär war und das Zeug zum Wahnsinnigwerden hatte – eben etwas darstellte.
Alison konnte sich nicht bewegen, als es an ihre Tür klopfte. Die roten Haare hingen ihr schwer ins Gesicht, Bluse und Gürtel waren offen, die Hosenbeine verknittert. Sie blieb dort sitzen, wo sie saß, und wartete darauf, dass sich die Tür öffnete. Sie war an einem Punkt angekommen, von dem aus es nicht weiterging – auch nicht weiter weg. Victor hatte sich nicht gemeldet, er war verschwunden. Ihr gemeinsamer Zwischenraum klaffte nun wie eine Wunde. Die Schwerelosigkeit hatte sich nicht in Schwerkraft umgewandelt, sondern in pure Haltlosigkeit. Es klopfte noch einmal. Eine hohe Stimme, höher als ihre, ertönte. Sie atmete aus. Der Zimmerservice. Die Tür öffnete sich, und aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie ein junges Mädchen hereinkam, irgendeine Entschuldigung murmelte und die Tür schnell wieder zuzog.
Sie rannte ins Bad, übergab sich und blieb dann auf dem gekachelten Boden sitzen. Die Kacheln waren weiß und marmoriert, so als traute jemand einer klaren Fläche nicht, so als müsste jemand das Weiß verwässern, entschärfen. In Japan waren die Bäder sicher viel schöner, mit Holzböden und Naturstein bestückt. Vielleicht saß Victor gerade in einem solchen Bad und schaute jemanden an, der aussah wie sie. Waren Doppelgänger zwei, die sich ähnelten, oder die gleichen, dieselben? Letzteres konnte man nicht denken, ohne wahnsinnig zu werden.
Die Vorstellung der anderen Frau, die aussah wie sie, ließ sich nicht mehr vertreiben, so sehr sie es auch versuchte. Ihre Gedanken waren wie auf dem Rücken liegende Rennwagen,die sie nicht zurück auf die Bahn bekam, und das Tempo, das sie in sich bargen, drehte frei. Das Telefon klingelte, als wollte ihr die Welt da draußen mit aller Penetranz beweisen, dass es sie noch gab. Sie ließ es so lange klingeln, bis es fast aufgegeben hatte, dann hob sie schweigend ab und hörte ein Tuten am anderen Ende der Leitung. Als der Hörer wieder auf der Gabel lag, bekam ein
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