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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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Überall Spielzeug in schönen roten Holzkisten und dunkelbraune Ledermöbel. Ihre Nachbarin sagte: »Ich hasse Leder, ich kann nie aufhören, daran zu denken, dass es die Haut von toten Tieren ist«, und brachte heiße Schokolade mit Rum, »mein Mann liebt Leder, in jeder Form, zu jeder Tages- und Nachtzeit.« Siri sagte kaum etwas, aber sie schaute ihrer Nachbarin in die Augen und trank ihre Tasse leer. Als die Milch zu Ende war, goss diese den Rum pur nach.
    Siri trank und beschloss, sie um Valium zu bitten. Wer so über seinen Mann sprach und mit einem solchen Schwung eingoss, war ein großzügiger Mensch.
    »Wie viel?« fragte die Nachbarin nur.
    Und Siri sagte: »Viel.«
     
    Sie verabschiedete sich, rief ein Taxi und sagte dem Taxifahrer eine Wilmersdorfer Adresse, Pariser Straße am Ludwigkirch-Platz.
    Jetzt fuhren sie auf den großen Stern zu, links und rechts der Tiergarten, hinter ihr das Brandenburger Tor. Immer wenn sie so nah an der Siegessäule vorbeifuhr, musste sie daran denken, wie viel größer der goldene Engel war, als man vermutete. Als Bruno Ganz auf der Schulter der Victoria saß, reichte sein Oberkörper gerade mal vom Kinn zur Augenbraue.
    Der Taxifahrer fuhr einen komischen Weg, um nach Wilmersdorf zu kommen. Vielleicht dachte er, sie wäre eine Touristin, so unverwurzelt wirkte sie wohl. Es war ihr egal. Sie öffnete das Fenster und ließ den Brief ihrer Großmutter durch den Spalt flattern.
    Die Fahrt ging nun direkt an der Gedächtniskirche vorbei, so als folgte der Taxifahrer dem Drehbuch, das in ihrem Kopf ablief: Bruno Ganz, als Engel Damian im dunklen Mantel und mit großen, zarten weißen Flügeln auf dem offenen Turm der Gedächtniskirche.
    Die Matratzenläden und Gogobars der Lietzenburger Straße tauchten auf. Die Lietzenburger Straße war doch eine seltsame Straße, sie schien die unterschiedlichsten Bedürfnisse beherbergen zu können. Gleich neben einem riesigen Altersheim lag Berlins bekanntester Expeditionsausstatter. Ob die Alten das als Provokation empfanden oder doch als Anregung, um über frühere Bergtouren zu sprechen?
    Jetzt waren sie bald angekommen, bei Vera, Großmutters bester Freundin, und dem Ort, an dem Siri sich am allerwohlsten fühlte.
     
    Vera stand mit ausgebreiteten Armen in der Wohnungstür (wie immer, wenn sie zu Besuch kam) und hatte zur Begrüßung beide Türflügel geöffnet.
    »Für dich, und nur für dich«, sagte Vera. »Wie schön, dass du mich mal wieder besuchst!«
    Ihr Gesicht lag in vielen wunderschönen Falten, und sie schloss Siri fest in die Arme. Siris Gesicht versank in Veras seidig-weichem Hosenanzug, sie hörte das Aneinanderschlagen der schweren goldenen Gliederarmreife, roch ihr Parfum und den Rest einer Zigarette. Komm herein, sagte Vera dann und winkte sie mit ihren langen Armen und einem solchenSchwung hindurch, dass sie fast im Wohnzimmer ankam, ohne selber gehen zu müssen. Dann streckte und bückte Vera sich und verriegelte mit einiger Mühe den eigentlich (und für alle anderen Gäste) feststehenden Türflügel, den anderen ließ sie ins Schloss krachen. Sie stellte die Klingel und das Telefon ab, nahm Siris Gesicht in beide Hände und sagte mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme: »Damit uns niemand stört. Alle anderen sind mir sowieso egal, wenn du da bist.«
    Schon stiegen ihr die Tränen in die Augen, und sie wandte sich ab.
    Vera ließ sie los, drehte sich um, steckte sich eine Zigarette an und sagte dann, ihr den Rücken zuwendend: »Wenn es etwas Gutes hat – diese ganze Geschichte mit deiner Großmutter –, dann dass du jetzt öfter zu mir kommst!«
    Sie schaute auf Veras Hand mit der Zigarette, ihre dunkelroten Fingernägel und die vielen übereinandergesteckten Diamantringe.
    Sie folgte ihrem Blick: »Die bekommst alle du, noch brauche ich sie, um mich nicht nackt zu fühlen, aber sobald ich diese alberne Angst losgeworden bin, bekommst du sie – alle! Und danach Felix’ Frau, aber natürlich nur, wenn sie ein Prachtweib ist, so ein rätselhaftes Prachtweib wie du.«
    Siri hatte noch immer kein Wort gesagt, hatte sich nur im Wohnzimmer umgeschaut, das rundherum mit wandhohen Bücherregalen aus dunklem Holz verkleidet war. Neben den drei großen, dunkelvioletten Sofas standen Beistelltische mit ausladenden Lampenschirmen, die goldene Schwäne überdachten. Auf dem Sofatisch lagen mehrere Bildbände, ein großer Aschenbecher mit einer Jagdszene und eine aufgeklappte silberne Schatulle mit Zigaretten. Dass es so etwas

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