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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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sie irgendwo etwas verloren hatte, dann in Japan. Sie würde die Wohnung auflösen, wenn sie Victor nicht wiederfand, sie würde in eine kleine Wohnung ziehen und nichts von hier mitnehmen.
    Jetzt musste sie sich konzentrieren, alles in ihr war hölzern und angespannt, als löste sie ein geheimes Versprechen ein, das sie sich gegeben hatte. Sie holte ihre kleine Tasche aus der Kammer und packte die Waschsachen, etwas Schmuck, ihr schwarzes Kleid und eine Jacke hinein. Sie würde nur über Nacht bleiben. Eine Nacht in Japan. Zuletzt holte sie die Unterwäsche aus dem unteren Fach des Schranks. Das Fach war voll mit kostbarer zarter Unterwäsche. Spitze, Seide, halterlose Strümpfe. Unterwäsche saß bei ihr wie angegossen, im Bett bewegte sich ihr Körper mit einer schlafwandlerischen Sicherheit, als hätte er nie etwas anderes getan. Vielen Männern hatte sie das nicht gezeigt, es war ein schönes Geheimnis.
    Als sie nun die Unterwäsche aus dem unteren Fach des Schranks holte, griffen ihre Hände die Träger des roten Badeanzuges. Der rote Badeanzug. Sie setzte sich aufs Bett. Der Tag, an dem sie Victor kennengelernt hatte, im Schwimmbad in der Gartenstraße. Die Träger waren inzwischen etwas ausgeleiert, das Rot an einigen Stellen ausgeblichen. Sie faltete ihn zusammen und legte ihn zurück in den Schrank. Sie würde ihn nicht mitnehmen nach Japan, sie würde ihm nichts beweisen müssen. Sie packte schnell ein paar besonders schöne Teile ein, dann steckte sie Illustrationen für ein Wirtschaftsmagazin in einen Umschlag und schrieb drei Zeilen dazu. Das hatte sie noch nie gemacht, unfertige Bilder abgegeben. Heute war es ihr gleichgültig, sie hatte schon einen Vorschuss bekommen. Ihr Ticket nach Japan.

 
    Hallo, Tom. Ich hab was für dich«, sagte Friederike, als Tom den Hörer abgenommen hatte, und lief dabei in ihrem Laden auf und ab.
    Tom antwortete: »Das klingt schon mal gut. Hallo, Fritz.«
    »Ich habe einen Text über Evil Knievel und Liberace gefunden«, sagte sie.
    »Was?« fragte er.
    »Weißt du, was Liberace auf die Frage gesagt hat, warum er zu einem Zusammentreffen mit der Queen einen weißen Nerzmantel getragen hätte? Er hat gesagt, er sei nicht gekommen, um ignoriert zu werden.«
    Tom lachte: »Wo hast du das denn her?«
    »Tja«, sagte Friederike, »manchmal tu ich eben was für dich.«
    »Und Knievel?« fragte er, »Was gibt’s Neues vom Canyonspringer?«
    »Da gibt es einiges, was du noch nicht kennst. Sein weißer Lederanzug war zum Beispiel ...«, sagte sie.
    Aber er unterbrach sie: »Wenn Evil Knievel bei dir im Laden ist, dann muss ich wohl mal vorbeischauen, sonst kommt er mir noch in die Quere. Morgen?«
    Friederike schluckte. Seine Sätze klangen nach. Das war doch ein Flirt, oder? So unsicher sie in den letzten Monaten geworden war, das war einer. Kaum erzählte sie ihm von Liberace und der Queen, schon konnte er wieder flirten und über den Canyon springen und musste dabei nicht einmal die Reißleine ziehen.
     
    »Fritz?« fragte er erneut, »morgen im Laden?«
    »Gerne«, sagte sie und räusperte sich, dann brach sie das Gespräch ab.
    Sie lehnte sich an den Tresen. Er hatte mit ihr geflirtet, er hatte von selbst vorgeschlagen, zu ihr in den Laden zu kommen, alles war federleicht gewesen. Wieso konnten sie nicht einfach immer so miteinander sein? Vielleicht sollte sie einfach nur von Liberace und weniger von ihrer Beziehung sprechen, dann ließ ihn vielleicht sein Schuldgefühl in Ruhe; dann hätten sie noch ein anderes Thema außer dem Schwinden ihrer Liebe. Vielleicht war das die Lösung.
     
    Der nächste Tag. Friederike stand vor ihrem Schaufenster und legte fünf grüne Gummifrösche auf einen der sahnebedeckten Schokoladenkuchen. Heute würde Tom also in den Laden kommen. Sie hatte einen weißen, gewickelten Pulli und eine weiße Bluse an. Ganz früh hatte sie in Andersens Schneekönigin gelesen, von dem entführten Jungen Kay und seinem erstarrten Exil, aber jetzt hatte sie einen Froschkönigkuchen gemacht und war sich gar nicht sicher, ob das überhaupt das Märchen war, in dem aus dem geküssten Frosch ein Prinz wurde. Vielleicht sollte sie die Märchen zu ihrem nächsten Thema machen? Dann würden die Mitte-Mütter ihren Laden stürmen. Geld verdienen machte einfach zu großen Spaß, um es nicht zu forcieren. Also Märchen.
    Draußen war es kalt und klar. Wenn es ein Wetter für Entscheidungen gab, dann dieses. Es war fünf Uhr nachmittags. Sie hatte schon eine

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