Durch den Wind
Flasche Weißwein aufgemacht und sich bereits das zweite Glas eingeschenkt. Gestern Abend am Telefon war alles ganz einfach gewesen. Natürlich hatte ihr Knievel geholfen, aber es war auch noch etwas anderes. Ihr Entschluss, Tom die Idee mit dem Kind zu erzählen, schien ihrerStimme eine große Stabilität verliehen zu haben. Es war immer das Gleiche: Wenn ihre Stimme dieses innere Wackeln hatte, setzte er keinen Fuß auf ihr Land, aber wenn sie fest war, dann kam er, lief einfach hinweg über all das, was sonst zwischen ihnen klaffte. So einfach war das und so schwer.
Der letzte Schluck des zweiten Glases. Jetzt würde sie aufhören müssen, denn wenn er roch, dass sie sich betrinken musste, um sich für ein Treffen mit ihm zu wappnen, dann wäre die ganze Vorarbeit für die Katz.
Sie stellte sich an den Tresen und blätterte in den weißen Texten. Die Schneekönigin . Der Junge Kay betrachtete an einem Wintertag durch eine Lupe hindurch ein paar Schneeflocken: Siehst du, wie künstlich! Das ist weit interessanter als die wirklichen Blumen! Und an diesen ist auch nicht ein einziger Fehler, sie sind ganz vollkommen, wenn sie nur nicht schmölzen! Sie würde Tom nicht von der Schneekönigin erzählen, das würde ein falsches Licht auf die Situation werfen. Alles sollte leicht genug aussehen, um ihren Vorschlag eigenartig, aber nicht obsessiv wirken zu lassen. Das Rentier fragte die Finnin: Aber kannst du der kleinen Gerda nicht etwas eingeben, damit sie mehr Macht bekommt? Und die Finnin antwortete: Ich kann ihr keine größere Macht verleihen, als sie schon hat. Wie schwer das war, diese Antwort wirklich zu verstehen, dachte sie, aß einen der Gummifrösche und stellte den Kuchen ins Schaufenster.
Was würde passieren, wenn das Kind da war? Darüber musste sie ja zum Glück noch nicht nachdenken, jetzt erst einmal ... noch ein halbes Glas Wein.
Sie stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank. Als sie wieder aufsah, stand Tom vor dem Schaufenster. Er schien sie beobachtet und sie schien ihm gefallen zu haben – wenn das kein guter Anfang war! Sie schauten sich lange in die Augen,dann kam er herein, ging langsam auf sie zu, sie blieb stehen, er küsste sie auf den Hals und ging zu der Vitrine, in der die weißen Bikinis lagen. (Seine grauen Augen.) Dann deutete er auf den Bikini mit dem gebundenen Oberteil: »Den da würde ich gerne meiner Freundin schenken, könntest du ihn mal kurz anprobieren?«
Zum Glück hatte sie noch das halbe Glas getrunken. Sie antwortete: »Er passt ihr, aber ich kann’s dir auch zeigen, wenn du willst.«
Er schaute ihr in die Augen, wie er es in der Buchhandlung getan hatte, und der Blick hatte noch immer die gleiche Wirkung. Sie ging nach hinten in die Küche. Schon rauschte es in ihren Ohren. Diese Geschwindigkeit. Diese Geschwindigkeit hatten sie immer, wenn die Hindernisse aus dem Weg geräumt waren. Kein Lenkrad weit und breit. Sie dachte nicht einmal nach. Es rauschte einfach nur, und wenn sie etwas liebte, dann das.
Er kam hinterher.
»Ich dachte, dass ihr vielleicht«, sagte er und machte die letzten Knöpfe ihrer Bluse auf, »der Schnitt ziemlich gut stehen würde.«
Sie lehnte sich an den kleinen Küchentisch. Wie er allein das Wort ›Schnitt‹ betonte.
Er zog ihr den Rock und die Unterwäsche aus und die Bikinihose an, dabei fuhr er mit der Fingerkuppe an den Stellen entlang, die verdreht waren. Dann band er ihr das Oberteil im Nacken zusammen und sagte so nah an ihrer Haut, das seine Lippen ihren Nacken berührten: »Das hätte ich gerne.«
Sie zog ihn an sich ran, küsste ihn und sagte: »Das hat seinen Preis.«
»Ach, ja?« fragte er, löste die Schleife in ihrem Nacken wieder und umfasste ihre Brüste zärtlich mit beiden Händen. »Ichglaube, das leiste ich mir heute mal.« Er küsste ihre Brüste und hob sie auf den Küchentisch.
Irgendwann hörten sie, wie jemand in den Laden kam, ein paar Schritte in den Raum ging und die Tür wieder hinter sich schloss. Wie sollte sie ihn je aufgeben, wenn es immer wieder diese Gegenwart miteinander gab, wenn diese Gegenwart immer wieder möglich wurde – nach all dem, was passiert war?
Als er ging, küsste er sie noch einmal auf den Hals, bestand darauf, die weißen Texte und eine Kopie des Trenkerfilms zu kaufen – und alles war gut. Als er weg war, holte sie die Flasche Wein aus dem Kühlschrank (auf dem Fußboden der weiße Bikini) und setzte sich in einen der Sessel in der Mitte des Ladens. Sie trank
Weitere Kostenlose Bücher