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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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zusammen. Das haben wir noch nie gemacht. Und um meine Landsleute brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen: sie lieben Frauen wie dich. Klein, mit diesen bestimmten Kurven, die wir alle nicht so recht zu bieten haben.«
    »Yoko«, sagte Alison.
    »Ich wette, du bist überhaupt nicht so schüchtern, wie du immer tust. Kein Mauerblümchen trägt solche Unterwäsche.«
    »Woher ...?« fragte Alison.
    »Ich sehe so etwas«, flüsterte Yoko, dann fuhr sie mit normaler Stimme fort: »Ich hab übrigens das Hotel aus dem Film gebucht. Du hattest doch noch keins, oder?«
    Alison schüttelte den Kopf.
    »Zwei Einzelzimmer«, fuhr Yoko fort, »ich dachte, du würdest viel allein sein müssen. Und ich auch.«
    Einzelzimmer. Allein sein. Ein Hotelzimmer. Alison hatte noch gar nicht an ein Hotelzimmer gedacht, so weit war sie noch gar nicht gewesen. Yokos Schwung tat ihr gut. Eigentlich konnte ihr nichts Besseres passieren, als Yoko an ihrer Seite zu haben. Und irgendwie freute es sie auch, dass Yoko von ihrer Unterwäsche wusste.
     
    Die dunkelblau gekleidete Dame des Bodenpersonals händigte ihr den Pass wieder aus, machte mit Kugelschreiber einen Kringel auf der Bordkarte und wünschte eine gute Reise. In dem Kugelschreiber war ein Fenster, durch das eine Berglandschaft zu sehen war, durch die eine winzige Gondel fuhr. Die Gondel war quittegelb und fuhr von einer Seite des Fensters an gezuckerten Tannenbäumen und Hüttendächern vorbei zur anderen Seite, wenn die Stewardess den Stift kippte; und sie kippte ihn ständig, wenn sie sprach und nicht schrieb, siekippte ihn von einer Seite zur anderen, bis den winzigen Skifahrern, die dicht gedrängt in der Gondel standen und sich an ihren Skiern festhielten, ganz anders werden musste von dem schnellen Hin und Her.
    »Meinen Sie nicht, dass sie mal oben ankommen wollen?« fragte Alison.
    Die Stewardess schaute sie fragend, aber unverändert höflich an: »Wie bitte?«
    »Meinen Sie nicht, dass sie mal oben ankommen wollen, an der Bergstation, meine ich«, sagte sie weiter und deutete auf den Kugelschreiber.
    Die Stewardess lächelte verlegen, es fiel ihr offenbar keine andere Antwort ein, als den Kugelschreiber abzulegen und sich zu entschuldigen.
    Yoko sagte: »Das scheinen sie gewöhnt zu sein.«
    Und Alison fuhr fort, indem sie auf den nun in Ruhe liegenden Kugelschreiber deutete: »So ist es auch nicht besser, so hängen sie in der Mitte fest.«
    »Hartes Los«, sagte Yoko und verabschiedete sich von der verwirrten dunkelblauen Dame des Bodenpersonals.
     
    Sie gingen an den Schaufenstern der Haupthalle vorbei.
    »Das Hotel aus dem Film?« fragte Alison dann. »Welchem Film eigentlich?«
    »Lost in Translation«, antwortete Yoko.
    Die rosa Perücke.
    Jetzt gab es also ein Hotel, von dem man über die Stadt schauen konnte wie Scarlett Johansson, in dem man die Zeit absitzen konnte und in dem man Männer wie Bill Murray in Bars kennenlernen konnte. Und es gab eine Gästeliste, in die ihr Name eingetragen war, mit lateinischen oder japanischen Zeichen, so oder so: Alison Ginster.
    »Ich muss noch Zigaretten kaufen«, sagte Alison.
    »Seit wann rauchst du wieder?« fragte Yoko, und Alison zuckte mit den Schultern. Yoko fuhr fort: »Na, endlich, ich dachte schon, du würdest wirklich alt werden wollen: mit Pflegeheim, Inkontinenz und dem ganzen Programm. Rauch, so viel du kannst, und hab ja kein schlechtes Gewissen dabei. Leben und sterben.«
    »Leben und sterben?« wiederholte Alison, macht eine Pause und sagte dann: »Ich glaube, ich muss mit beidem erst einmal anfangen.«
    »Los«, sagte Yoko und zeigte auf die Anzeigentafel der Abflüge, »es wird Zeit.«

 
    Mitten in der Nacht. Die Weinflasche war schon lange leer, die Rollläden waren heruntergelassen, Friederike lag auf dem Sofa hinter ihrem Schreibtisch. Die Zeit hatte sich im Raum aufgelöst. Sie wollte heute nicht mehr nach Hause, sie wollte im Laden bleiben. Sie blätterte noch einmal in den weißen Texten, las über die Stille, verwischte Spuren und den einen Husten, der die Schneeschicht ins Rutschen bringt. Und vielleicht würde es ein Fehler gewesen sein, das zu lesen, weil ihre Sehnsucht zur Abwechslung mal ganz ruhig an seinem Platz war. Aber bisher bewegte sich nichts. Alles war gutgegangen. Sie hatte sich mit Tom und in ihrem Körper wohlgefühlt, selbst im Bikini. Alles war gutgegangen.
     
    Das Licht war aus, die Nachtschwärze Berlins drang durch die Ritzen der Rolläden zu ihr hindurch. Paare lachten,

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