Durch die Hintertür
Blick zu, der ganz deutlich ›Du lügst‹ besagte.
»… um nachzuhören, ob der junge Mann Verwandte hat, die man unterrichten sollte – solche Dinge eben.«
»Nein, Sir, ›solche Dinge eben‹ sind nicht nötig.«
Nun trat seine Grobheit offen zutage. Ich sah wenig Sinn darin, mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Wo waren nur die arglosen, beeinflussbaren Polizisten, die den Helden der Kriminalromane immer so nützliche Dienste leisteten?
Ich verließ die Wache, und da war er auch schon. Ein argloser, beeinflussbarer Polizist – als ich seinen V-förmigen Torso in blauem Sergestoff mit Silberknöpfen sah (ganz zu schweigen von seinem absurden Helm in Form eines Schwanzes), wusste ich, dass dies genau der Mann für mich war. Praktischerweise wartete er gerade vor der Wache und schraubte müßig an seinem Fahrrad herum. Ich ging an ihm vorbei, und er stand auf – fehlte nur, dass er vor mir strammstand.
»Guten Tag«, sagte ich und bemerkte den kräftigen Kiefer und die dichten Augenbrauen, die nicht so recht zu einem Gesicht passen wollten, das so unschuldig und treuherzig wirkte. Als ich ihn ansprach, grinste der junge Polizist breit.
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er. »Sie sind der Amerikaner, der in dem großen Haus zu Gast ist.«
»Schuldig im Sinne der Anklage«, antwortete ich und musterte seine Uniform von oben bis unten. Er war ein ordentlicher Prachtbursche, dem Aussehen nach ungefähr 19 Jahre alt.
»Ich … ich mag Ihren Akzent, Sir.« Vermutlich hatte er zuvor höchstens im Radio einen Amerikaner reden hören. Der Tonfilm war noch nicht bis Drekeham vorgedrungen, aber mein kleiner Jungpolizist war schon halb verliebt in Amerika, und ich hoffte, dass er die andere Hälfte des Weges auch noch zurücklegen würde. Er entsprach genau dem typisch englischen Bild eines jungen Mannes: männlich, ohne arrogant zu sein, und dem Laster nicht abgeneigt, auch wenn er noch keine Ahnung davon hatte.
»Wirklich?« Ich versuchte, so stark nach Boston zu klingen wie nur möglich. »Na, das ist aber klasse.« Das hatte die gewünschte Wirkung, sein Grinsen wurde noch breiter. »Wie heißen Sie, Officer?«
»Wachtmeister Shipton, Sir.«
»Nun, Wachtmeister Shipton, wären Sie vielleicht so freundlich, einem amerikanischen Besucher Ihre Wache zu zeigen? Ich … ich würde gern wissen, was Sie so da hinten haben.«
Falls er diese Bitte für exzentrisch hielt, dann zeigte er das nicht. Vielleicht war ein Interesse an den Hintergebäuden von Polizeiwachen genau die Art Verrücktheit, die er von einem Yankee erwartete.
»Okay, Pardner«, sagte er im grässlichsten Versuch, einen amerikanischen Akzent nachzuahmen, den ich je gehört hatte. »Hier lang.«
Er führte mich eine Gasse entlang, die zwischen der Wache und dem benachbarten Lebensmittelladen verlief. Sie war gerade breit genug für zwei Männer, und der zementierte Boden war überall von Löwenzahn durchbrochen. Ich holte Shipton ein, wobei sich unsere Schultern streiften. Selbst ohne Helm war er gute 15 Zentimeter größer als ich.
»Hier stellen wir unsere Räder ab«, sagte er, zum Glück wieder in seinem eigenen Akzent – breitestes Norfolk, wo das Ende jedes Satzes betont wurde wie eine Frage. »Ich habe heute ein Loch im Reifen, das ich flicken muss.«
»Na, hoffentlich ist wenigstens Ihre Pumpe in Ordnung«, sagte ich und sondierte das Terrain.
»Die hat mich noch nie enttäuscht, Sir«, antwortete er ohne den Hauch einer Zweideutigkeit. Ich warf einen Seitenblick auf sein erwartungsvolles Gesicht. Auf der blassen Haut seiner Wangen waren Bartstoppeln zu sehen.
»Und das hier ist der Hof«, sagte er, als wir in einen ungepflegten Garten traten, der offenbar als Halde für die ausgesonderten Möbel der Station diente. Da waren Aktenschränke in den verrücktesten Winkeln, die Schubladen weit offen. Alte, kaputte Stühle, ein paar Schreibtische und, halb vom Gras verborgen, etwas, das mir sehr nach einem Nachttopf aussah. Nichts, das Verdacht erregt hätte: keine offenkundigen Folterwerkzeuge, keine Geheimgänge, nur die rote Ziegelrückwand der Wache, die im Großen und Ganzen wie ein normales, langweiliges Familienhaus aussah.
»Na so was, Officer«, sagte ich, »ist ja richtig hübsch hier.«
Er freute sich wie ein Schneekönig; offenbar versorgte ich ihn mit Anekdoten für seine Kneipenkumpel.
»Kann ich Ihnen sonst noch was zeigen, Sir?«
»Was ist das für ein Raum?« Ich zeigte auf ein Fenster in der Rückwand, das mit
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