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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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neugierig zu ihr vorgebeugt, als sie das sagte.
    »Ich habe noch nie Pfefferminze geschmeckt«, sagte er. »Und eine Gänsehaut hatte ich auch noch nie.«
    Erst jetzt begriff Cecilie, daß es für Ariel ebenso schwer war, die irdischen Dinge zu verstehen, wie sie mit den himmlischen Problemen hatte. Sie sagte:
    »Es muß scheußlich sein, etwas anzufassen, ohne es zu spüren. Ich kenne kaum etwas Schrecklicheres als eine Betäubung beim Zahnarzt.«
    »>Betäubung beim Zahnarzt<«, wiederholte er. »Aber eine Vollnarkose ist sicher noch schlimmer. Dann merkt ihr ja nicht mal, daß ihr lebendig seid.«
    Er zog sein unergründliches Gesicht. Dann fragte er: »Kannst du den Schneeball im ganzen Körper spüren?«
    Cecilie lachte.
    »Nicht in den Haaren und auch nicht in den Nägeln.«
    »Aber überall da, wo du Haut hast, und das ist doch fast überall. Fleisch und Blut sind in ein magisches Kostüm eingeschlossen, das euch eure gesamte Umgebung spüren läßt. Kannst du begreifen, wie es möglich ist, so etwas zu erschaffen?«
    »Ein magisches Kostüm?«
    »Deine Haut, Cecilie, ich meine dieses feinmaschige Gewebe aus Nervensträngen. Als Gott die Welt erschuf, hat er es so schlau angestellt, daß die Schöpfung sich selbst spüren kann. Du mußt doch zugeben, daß das ganz schön clever war!«
    »Vielleicht ...«
    »Könnt ihr an allen Stellen gleich viel spüren?«
    Sie mußte kurz überlegen.
    »Ich bin nicht überall gleich kitzlig. An manchen Stellen tut es besonders gut, gekitzelt zu werden. Ab und zu kann es so schön sein, daß es fast weh tut. Hast du gewußt, daß etwas so schön sein kann, daß es fast weh tut?«
    »>Hast du gewußt, daß etwas so schön sein kann, daß es fast weh tut?<«
    »Jetzt äffst du mich schon wieder nach.«
    Ariel schüttelte seinen kahlen Kopf.
    »Ich versuche nur zu verstehen, was du sagst. Kann irgend etwas auch so weh tun, daß es schon fast wieder schön ist?«
    »Nein .«
    »Du mußt die Frage entschuldigen. Engel wissen nämlich nicht genau, was Schmerz überhaupt bedeutet.«
    »Seid ihr wirklich so gefühllos wie Erde und Steine?«
    Er nickte feierlich.
    »Mindestens.«
    »Ich weiß nicht, was ich vorziehen würde.«
    »Ein Stein zu sein oder ein Engel?«
    »Ich meine, wenn ich nie irgendwelche Gefühle gehabt hätte, hätte ich auch nie Schmerzen gehabt. Vielleicht wäre es wirklich das beste, ganz und gar betäubt zu sein.«
    »Dann ist es vielleicht eher der Zahnarzt, den du nicht magst, und gar nicht die örtliche Betäubung.«
    Sie nickte.
    »Aber ich finde es doch ein bißchen bedenklich, daß die Engel im Himmel den Unterschied zwischen schön und schlimm nicht kennen.«
    Wieder wäre es ihr beinah herausgerutscht, daß sie nicht wußte, ob sie überhaupt an Engel glaubte. Aber dann kam ihr plötzlich ein Gedanke:
    »Warum hast du keine Flügel?«
    Er lachte.
    »Das mit den >Engelsflügeln< ist nur ein alter Aberglaube aus der Zeit, als die Menschen glaubten, die Erde sei platt wie ein Pfannekuchen und die Engel flögen dauernd zwischen Himmel und Erde auf und ab. Aber so einfach ist es nun mal nicht.«
    »Wie ist es denn?«
    »Vögel brauchen Flügel, um sich in die Luft zu heben, denn sie sind aus Fleisch und Blut. Wir aber sind Geist, deshalb brauchen wir keine Flügel, um uns durch die Schöpfung zu bewegen.«
    Sie lächelte.
    »Ungefähr so wie meine Gedanken. Die brauchen auch keine Flügel, um durch die Welt zu flattern.«
    Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als Ariel vom Stuhl abhob und wie ein Ballon durch das Zimmer schwebte. Cecilie ließ ihn nicht aus den Augen.
    »Spitze!« rief sie. »Das ist doch bestimmt ein tolles Gefühl!«
    Er setzte vor dem Bücherregal auf dem Boden auf.
    »Ich spüre nichts.«
    »Das muß ein komisches Gefühl sein. Es muß ein komisches Gefühl sein, nichts zu fühlen.«
    »Aber deine Gedanken spüren das, was sie denken, doch auch nicht so, wie du den Schneeball in deiner Hand spürst.«
    Wieder hob er die neuen Skier hoch und hielt sie ihr hin.
    »Ist Skilaufen schön?«
    Cecilie nickte.
    »Bald werd ich sie ausprobieren ...«
    »Aber das muß doch ein typisches >kaltes< Gefühl sein, vor allem, wenn ihr in den Schnee fallt. Habt ihr dann nicht am ganzen Körper so einen Gänsehautgeschmack wie starke Pfefferminze?«
    »Nicht, wenn wir warm genug angezogen sind. Dann spüren wir nur, daß der Schnee weich ist wie Watte. Manchmal nehmen wir auch die Skier ab und machen Engel im Schnee. Das ist herrlich!«
    Ariel hatte die

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