Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
gut. Deshalb war ich ja da.«
Cecilie schnaubte.
»Ihr kommt doch nicht nur zu Besuch, wenn etwas schiefgeht. Solchen Blödsinn habe ich wirklich noch nie gehört!«
»Es ist nie Blödsinn, traurige Menschen zu trösten.«
»Hat er dir nicht erzählt, was es für ein Gefühl ist, aus Fleisch und Blut zu sein?«
Ariel schüttelt den Kopf.
»Dazu war er noch zu klein.«
»Schade ...«
»Warum?« »Dann muß ich ja wohl die ganze Arbeit übernehmen.«
»Also ist es abgemacht?«
Cecilie versuchte, sich etwas weiter aufzusetzen.
»Ich werd es versuchen«, sagte sie. »Aber du mußt anfangen.«
»Abgemacht!«
Er machte es sich gemütlich. Unter seinem weißen Kittel lugten zwei nackte Beine hervor. Die legte er auf Cecilies Bett. Seine Waden waren so glatt wie die eines neugeborenen Kindes. Cecilie konnte auf seiner Haut keine einzige Pore erkennen.
Ehe sie Ariel kennengelernt hatte, hatte sie nie daran gedacht, daß Körperhaare etwas mit Pflanzen und Tieren zu tun haben könnten. Jetzt wußte sie, wie seltsam es wäre, wenn ein Engel Haare an den Beinen hätte. Auf alten Bäumen konnte allerlei wachsen. Auf Menschen und Tieren auch. Sogar auf Steinen konnten Moos und Flechten wachsen. Aber auf einem Engel war das nicht möglich.
Sie betrachtete seine Zehennägel. Es war ganz klar, daß er sie niemals zu schneiden brauchte. Auch die Nägel erinnerten Cecilie an einen ihrer Steine, vielleicht an Bergkristall?
»Können Engel müde werden?« fragte sie.
»Wie kommst du auf die Idee?«
»Weil du deine Beine auf meinem Bett liegen hast.«
Er lächelte gutmütig.
»Ich habe gesehen, wie vertraute Menschen zusammensitzen, wenn sie ein Gespräch führen.«
»Du äffst uns also schon wieder nach. Warum kannst du nicht du selbst sein? >Ganz natürlich sein<, sagt Mama immer.«
»Dann kann ich vielleicht auch dich bitten, dich richtig hinzusetzen. Auf Dauer nervt es, mit einer zu reden, die nur schlaff im Bett liegt.« »Ich bin wirklich ziemlich krank.«
»Setz dich einfach hin, Cecilie!«
Sie versuchte, dem Engel zu gehorchen, und bald saßen sie sich gegenüber - Cecilie im Bett, Ariel auf dem Stuhl. Cecilie fühlte sich jetzt viel besser. Sie hatte schon lange nicht mehr gerade gesessen. Sie überlegte, was sie dem Engel über die irdischen Geheimnisse erzählen sollte.
Aber Ariel sollte ja anfangen.
»Viele Menschen halten die Engel für Schattenbilder, die zwischen Himmel und Erde umherflattern und keinen richtigen Körper haben .«
»Genauso habe ich mir die Engel auch vorgestellt.«
»Aber es ist genau umgekehrt. Ihr kommt uns leicht und luftig vor. Wenn du einem Stein einen Tritt versetzt, stößt dein Fuß gegen den Stein. Wenn ich es machte, würde ich einfach durch den Stein hindurchtreten. Für mich ist ein Stein nicht fester als ein Nebelfetzen.«
»Dann verstehe ich, wie ihr durch Türen und Wände gleiten könnt, ohne euch weh zu tun. Aber ich begreife nicht, warum die Wände nicht dabei kaputtgehen.«
»Wenn du durch Nebel gehst, geht der Nebel doch auch nicht kaputt. Und wenn du an etwas denkst, können deine Gedanken der Umwelt doch auch keinen Schaden zufügen.«
»Kann schon sein. Aber wenn du durch eine Wand gehen kannst, muß es doch daran liegen, daß du keinen richtigen Körper hast.«
»Faß mal meinen Fuß an, Cecilie!«
Sie legte zwei Finger um seinen großen Zeh und drückte zu. Sie hatte das Gefühl, Stahl anzufassen.
Ariel sagte:
»Wir haben viel festere Körper als irgend etwas anderes in der Schöpfung. Ein Engel kann nie kaputtgehen. Und zwar, weil wir keinen Körper aus Fleisch und Blut haben, von dem unsere Seele getrennt werden kann.«
»Sei froh .«
»In der Natur ist das anders. Hier geht alles leicht entzwei. Sogar ein Berg wird langsam von den Naturkräften abgeschliffen und schließlich zu Erde und Sand.«
»Danke für die Information, aber das wußte ich schon.«
»Ihr seid für uns Schattenbilder, Cecilie, nicht umgekehrt. Ihr kommt und geht. Ihr seid diejenigen, die nicht von Bestand sind. Plötzlich taucht ihr auf, und jedesmal, wenn ein neugeborenes Kind auf den Bauch seiner Mutter gelegt wird, ist es von neuem wunderbar. Aber ebenso plötzlich seid ihr dann wieder verschwunden. Als wärt ihr Seifenblasen, die Gott fliegen läßt.«
Cecilie schloß halb die Augen.
»Entschuldigung, daß ich das so direkt sage, aber das riecht ein bißchen angebrannt.«
Er nickte.
»Das ist vielleicht gar nicht so dumm gesagt. Alles in der Natur ist wie ein
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