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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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langsamer Brand. Die ganze Schöpfung schwelt irgendwie im Moos vor sich hin.«
    »Ich finde es aber nicht sehr angenehm, im Moos vor mich hinzuschwelen. Und der Gedanke, daß ich ein >Schattenbild< bin, gefällt mir auch nicht.«
    Ariel schlug sich die Hand vor den Mund - als merkte er plötzlich, daß er zuviel gesagt hatte.
    »Doch füreinander seid ihr keine Schattenbilder«, fügte er schnell hinzu. »Muß dein Vater nicht fest zugreifen und alle Muskeln anspannen, wenn er dich nach unten ins Wohnzimmer tragen will?«
    »Blabla!«
    »Warum sagst du das?«
    »Du hast die ganze Zeit so schlaue Antworten auf meine Fragen. Aber ich habe noch nicht gesehen, daß irgend etwas von dem, was du sagst, auch stimmt.«
    »Jetzt geht das wieder los!«
    »Was denn?«
    »Du glaubst noch immer, ich lüge.«
    Sie tat, als ob sie es überhört hätte.
    »Kannst du zum Beispiel durch die Wand gehen und nachsehen, ob meine Eltern schlafen?«
    »Wir sollten nicht allzu viele Spiele dieser Art treiben ...«
    »Nur dies eine Mal, bitte!«
    Ariel stand auf und ging langsam durchs Zimmer. Als er die Wand erreichte, ging er einfach weiter. Cecilie sah, wie er durch die Wand glitt. Am Ende war nur noch ein Fuß zu sehen, dann wurde auch der durch die Wand gezogen und war verschwunden. Einige Sekunden später geschah das Umgekehrte: Ariel glitt durch die Wand und stand wieder mitten im Zimmer.
    »Sie schlafen beide«, sagte er. »Er hat einen Arm um ihre Schulter gelegt. Der Wecker ist auf sieben gestellt.«
    »Bravo!« rief Cecilie und klatschte in die Hände. »Jetzt brauche ich wenigstens nicht in ihrem Zimmer zu schlafen.«
    »Nein, im Notfall könnte ich sie schneller wecken als irgendein Wecker.«
    »Wirklich?«
    Er lächelte resigniert. Sicher, weil sie ihm auch jetzt nicht glaubte.
    »Das ist immer wieder witzig«, sagte er. »Sie glauben, daß sie von selbst wach werden. Und dann sagen sie: >Was für ein Zufall, daß ich gerade jetzt aufgewacht bin. Ich habe irgendwie gespürt, daß etwas nicht stimmt.««
    »Jedenfalls war es ein lustiger Anblick.«
    »Es ist auch lustig, Erwachsenen beim Schlafen zuzusehen. Sie sehen oft aus wie kleine Kinder. Vielleicht träumen sie, daß sie draußen im Schnee spielen.«
    Cecilie sagte lebhaft:
    »Du bringst mich auf eine Idee! Kannst du dich nach unten in den Garten schleichen und mir einen Schneeball holen? Du brauchst ja nicht mal die Tür aufzuschließen!«
    Ariel war schon aufgesprungen.
    »Ich brauche bloß die Hand aus dem Fenster zu strecken«, sagte er. »Draußen auf der Fensterbank liegt haufenweise Schnee.«
    Und dann machte er es. Er sprang auf den Schreibtisch, und Cecilie konnte sehen, wie er den einen Arm durch das geschlossene Fenster streckte. Im nächsten Moment stand er mit einem kleinen Schneeball in der Hand mitten im Zimmer. Das Fenster war unversehrt.
    Sie machte große Augen.
    »Toll.«
    »Bist du jetzt zufrieden?«
    »Nicht ganz. Ich würde den Schnee gern selbst anfassen.«
    »Bitte sehr«, sagte Ariel und warf den Schneeball auf Cecilies Decke. Sie nahm ihn in die Hand.
    »Eiskalt«, sagte sie. »Jetzt fasse ich zum ersten Mal den Schnee dieses Jahres an.«
    »>Den Schnee dieses Jahres<«, wiederholte Ariel. »Das klingt fast wie >Gemüse der Saison< oder >Früchte des Meeres<.«
    Cecilie preßte den Schneeball gegen ihre Wange. Als er anfing zu tropfen, steckte sie ihn in das Glas auf dem Nachttisch. Ariel setzte sich wieder auf den Stuhl.
    »Ich habe Schnee noch nie angefaßt«, sagte er und schien ein wenig zu schmollen. »Ich weiß auch, daß ich das nie machen kann. Bis in alle Ewigkeit nicht.« »Jetzt machst du Witze. Du hast ihn doch gerade eben erst angefaßt.«
    »Ich habe nichts gespürt. Engel spüren nichts, Cecilie!«
    »Hast du nicht gespürt, daß er kalt ist?«
    Er machte ein resigniertes Gesicht.
    »Jetzt mußt du das aber langsam begreifen, sonst macht es wirklich keinen Spaß, mit dir zu reden. Einen Schneeball anzufassen ist für uns dasselbe, wie einen Gedanken anzufassen. Du kannst auch nicht die Erinnerung an den Schnee vom letzten Jahr in die Hand nehmen.«
    Sie schüttelte den Kopf, und Ariel fragte:
    »Was ist das für ein Gefühl, einen Schneeball in der Hand zu haben?«
    »Kalt . eiskalt.«
    »Das hat du schon gesagt.«
    Sie gab sich die allergrößte Mühe.
    »Es prickelt auf der Haut. Es kitzelt wie starke Pfefferminze. Du möchtest die Hand zurückziehen und kriegst eine Gänsehaut. Aber es ist trotzdem ganz toll.«
    Ariel hatte sich

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