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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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ist es, daß ihr unterschiedliche Dinge riechen könnt, ohne auch nur in die Nähe dessen zu kommen, was ihr da riecht. Was sind alle diese Gerüche, die in der Schöpfung herumfliegen?«
    »Kannst du auch den Weihnachtsbaum riechen?«
    Er seufzte verzweifelt.
    »Engel haben keine Sinne, Cecilie. Das hier ist zwar nicht gerade eine Prüfung in Religion, aber du mußt das jetzt bald mal lernen.«
    »Entschuldige.«
    »Wie riecht der Baum?«
    »Grün ... und wunderbar säuerlich und nach frischer Luft ... und ein wenig herb. Aber er riecht auch süß. Ich finde, der Geruch des Weihnachtsbaumes ist die halbe Weihnachtsstimmung. Danach kommt zuerst Kümmelkohl und dann Weihrauch. An vierter Stelle kommen Opas Zigarren, obwohl die manchmal fast schon zuviel des Guten sind.«
    »Könnt ihr die Lichter riechen?«
    »Eigentlich nicht, nein.«
    »Heißt das, du weißt es selbst nicht genau?«
    »Der Baum riecht ein bißchen anders, wenn wir ihn geschmückt und die Lichter eingeschaltet haben. Bloß ein bißchen, aber dieses kleine bißchen ist sehr wichtig für die Weihnachtsstimmung.«
    »Na gut. Ich glaube, mit den Gerüchen kommen wir auch nicht weiter als mit den Geschmäckern. Gibt es eigentlich auch unendlich viele verschiedene Gerüche?«
    »Kann schon sein, aber ich glaube, die Menschen haben keinen besonders guten Geruchssinn. Wir können vielleicht hundert verschiedene Gerüche unterscheiden, kennen aber tausend verschiedene Geschmäcker. Hunde haben einen viel besseren Geruchssinn. Ich glaube, die kennen viele tausend verschiedene Gerüche. Das ist ja auch kein Wunder, wenn du dir überlegst, daß das halbe Hundegesicht aus einer großen Nase besteht.«
    »Du kannst das ja doch ganz gut erklären. Kannst du mir auch sagen, wie es ist, zu sehen?«
    »Du siehst doch wahrscheinlich genau dasselbe wie ich.«
    Ariel hob vom Sofa ab, segelte durchs Zimmer und setzte sich in den grünen Sessel. Er sah in dem großen Sessel so klein aus, als würde er drin ertrinken.
    »Aber ich sehe nicht auf dieselbe Weise. Ich bin ja auch nicht aus Erde und Wasser zusammengeschustert. Ich bin eben kein Stück quicklebendiger Salzteig.«
    »Und wie siehst du also?«
    »Du kannst es als geistige Anwesenheit bezeichnen.«
    »Aber du siehst mich doch?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich bin nur hier.«
    »Das bin ich auch. Und die ganze Zeit können wir uns doch sehen, nicht wahr?«
    Er wich aus.
    »Würdest du sagen, du kannst sehen, wenn du träumst?«
    »Im Traum kann ich oft sehr klar sehen.«
    »Aber dann siehst du nicht mit den Augen.«
    »Nein, die mache ich beim Schlafen ja zu.«
    »Dann verstehst du vielleicht, daß man auf mehrere Arten sehen kann. Manche Menschen sind blind. Sie müssen ihr inneres Auge benutzen. Und mit diesem Auge siehst du auch, wenn du süße Träume träumst.«
    »>Inneres Auge    Er nickte.
    »Das ist etwas anderes, als wenn du mit den Augenlidern klimperst und mit den lebendigen Linsen die Natur um dich
    herum einfängst. Wenn du eine Zwiebel schälst oder ein Staubkorn ins Auge bekommst, dann reagiert es gereizt. Im schlimmsten Fall kann dein Gesichtssinn völlig verschwinden. Aber nichts kann das innere Auge verletzen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es nicht aus Fleisch und Blut ist.«
    »Und woraus dann?«
    »Aus Sinnen und Gedanken.«
    »Das klingt fast ein bißchen unheimlich.«
    Er hatte die Arme auf die Lehnen gelegt. Jetzt sah er in dem tiefen Sessel noch kleiner aus.
    »Ich finde es viel unheimlicher, daß zwei lebendige Augen, die aus Atomen und Molekülen bestehen, alles in ihrer Umgebung sehen können«, sagte er. »Ihr könnt sogar ins All hinausblicken und etwas von der himmlischen Herrlichkeit ahnen. Aber das, womit ihr seht, sind zwei glasige Klumpen, die eng mit Fischaugen verwandt sind.«
    »Klingt ziemlich mysteriös, wenn du das so ausdrückst.«
    Er machte eine abwehrende Handbewegung.
    »Davon wird es auch nicht mysteriöser, als es nun einmal ist. Vor vielen Millionen Jahren haben einzelne Fische im Meer eine Art Flossen bekommen, auf denen sie gehen konnten. Und dann sind die kleinen Amphibien aufs Land gekrabbelt und haben sich nach etwas Eßbarem umgesehen. Und heute könnt ihr mit denselben Augen, mit denen ihr damals keine anderen Sterne als Seesterne und Seeigel erkennen konntet, Tausende von Lichtjahren weit ins Universum blicken. Aber das ist noch nicht alles: Ihr könnt sogar auf einem roten Sofa sitzen und einem Engel des Herrn in die Augen schauen.«
    Cecilie

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