Durch Himmel und Hoelle
würde, oder umge-
kehrt. Sie trennten Welten, was ihre Überzeugung und ihre Wunschträume betraf... Wenn doch nur...
Louisa wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie sah, wie sich ein Reiter in der Ferne dem Sommerhaus näherte. Sie verzog ange- widert den Mund. Die Pagode im chinesischen Stil hatte sie nie ge- mocht. Sie war unpassend und wirkte grotesk in dieser englischen Landschaft.
Der Reiter kam näher, und jetzt sah Louisa, daß es Lady Tre- vegne war, und sie war in großer Eile. Louisa ging schneller, weil sie wissen wollte, was in der Pagode vor sich ging. Elysia war schon längst auf der anderen Seite des Gebäudes verschwunden, wo der Eingang war, als Louisa ganz außer Atem den Pavillon erreicht hatte. Sie blieb kurz stehen und lehnte sich an die roten Ziergitter vor den Fenstern, um Luft zu holen, als sie Stimmen im Haus hörte. Louisa drückte neugierig ihr Gesicht an die geschmiedeten Wein- ranken, kniff die Augen zusammen und spähte ins Zimmer.
Zwei Männer verließen es gerade durch eine Tür in der getäfelten Wand - eine Tür, die nur nach draußen führen konnte, aber sie stie- gen eine Treppe hinunter.
»Wir sollen die Lady verschwinden lassen und die Leiche im Meer versenken.«
Die ominösen Worte des Mannes sickerten durch das Gitter wie eine Wolke giftigen Gases. Die Tür schloß sich hinter ihnen, die Wandtäfelung glitt vor und hinterließ bedrohliche Stille in dem lee- ren Raum.
Hatten sie Lady Trevegne gemeint? Wo war Elysia? Louisa hatte gesehen, wie sie vor kaum einer Viertelstunde die Pagode betreten hatte. Sie erstickte einen Angstschrei und lief den Weg zurück, den sie gekommen war, auf der Suche nach Elysias Pferd. Der Hengst stand noch da und war an einen Baum gebunden. Elysia war nicht weggeritten. Sie mußte da unten an diesem schrecklichen Ort sein, zu dem die Treppe führte - wo immer das auch war.
O gütiger Gott! Was sollte sie nur tun? Sie mußte Hilfe holen, aber sie hatte kein Pferd, und es würde eine Ewigkeit dauern, zu- rück zum Stall zu gehen. Außerdem, hatte Papa nicht gesagt, er wäre wahrscheinlich bis spätabends weg? Oh, was sollte sie nur ma- chen?
Ariel wieherte nervös und beäugte die kleine Person mißtrauisch, die so entschlossen auf ihn zuging.
Es gab nur eine Möglichkeit: irgendwie mußte sie es schaffen, dieses schreckliche Pferd zu reiten. »Ariel, mein Junge. Du mußt mich auf dir reiten lassen«, flehte Louisa mit sanfter Stimme und griff mit ängstlicher Hand nach dem Zügel. »Deine Herrin ist in Ge- fahr. Du mußt mir helfen.«
Ariel scheute nervös und schnappte mit seinen großen Zähnen nach ihrer Hand.
»Verdammt sollst du sein!« fluchte Louisa wohl das erste Mal in ihrem Leben, dann brach sie zusammen und schluchzte verzweifelt, weil sie versagt hatte. Warum mußte sie auch so schwach sein, so hilflos, daß sie nicht einmal die einzige Freundin, die sie hatte, retten konnte. Ihre schmalen Schultern zitterten, als sie spürte, wie etwas sie anschubste. Louisa drehte sich um und sah, daß Ariel liebevoll an ihrem Nacken knabberte.
Louisa starrte ihn fassungslos an und wagte nicht, sich zu bewe- gen, als er schnaubte, aber es klang nicht bedrohlich, nur neugierig.
»O Ariel, du verstehst es«, flüsterte Louisa und griff erneut nach seinen Zügeln. Diesmal machte das Pferd keine Anstalten, sich zu wehren. Zitternd vor Erleichterung und Angst führte Louisa den Hengst zu einem umgestürzten Baumstamm und stieg mit angehal- tenem Atem auf. Sie gab ihm die Sporen, und bevor sie richtig Luft holen konnte, stürmte er schon los wie ein Vogel auf der Flucht. Louisa schluckte und klammerte sich verzweifelt an ihn, ihr Stroh- hut mit dem Kirschbündel hüpfte heftig auf ihren braunen Locken. Louisa merkte gar nicht, daß ihr blaues Kleid bis über die Knie
hochgerutscht war und jeder ihre bestrumpften Beine und roten Slip- per sehen konnte. Sie bekam allmählich Zweifel, ob ihr Plan wirklich so weise war. Sie hatte sich fast schon dazu entschlossen, sich die Treppe hinunterzuwagen und die Mörder zu stellen, als Ariel sie doch aufsteigen ließ. Jetzt, hier oben auf seinem Rücken, fragte sie sich, ob die andere Idee nicht weniger gefährlich gewesen wäre.
Louisa war in ihrem ganzen Leben noch nicht so schnell geritten, die Landschaft war nur noch ein verschwommenes Etwas, das an ihr vorüberzog. Ihr größtes Problem war, daß sie keine Ahnung hatte, wie sie das Pferd aufhalten sollte. Ariel raste direkt auf Westerley und seinen
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