Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan
Gliedmaßen vor meinem inneren Auge auf.
Ich versuchte es mit dem Radio. Jeder Sender brachte Berichte über den Absturz. Reporter sprachen ehrfürchtig vom Tod junger Sportler und spekulierten mit getragener Stimme über mögliche Ursachen. Da das Wetter offensichtlich keine Rolle gespielt hatte, kreisten die Hypothesen vorwiegend um Sabotage und technische Defekte.
Als ich hinter Crowes Deputy hermarschiert war, hatte ich am anderen Ende der Unglücksstelle eine Linie von Bäumen mit abgetrennten Spitzen entdeckt. Obwohl ich wusste, dass diese Linie die Absturzrichtung der Maschine markierte, weigerte ich mich, daraus bereits voreilige Schlüsse zu ziehen.
Ich bog auf den I-40 ein, wechselte wohl zum hundertsten Mal den Sender und stieß auf die Stimme eines Reporters, der aus einem Hubschrauber von einem Lagerhausbrand berichtete. Das Geräusch der Rotoren erinnerte mich an Larke, und ich bemerkte, dass ich nicht gefragt hatte, wo er und der Vizegouverneur gelandet waren. Ich beschloss, die Frage im Hinterkopf zu behalten.
Um neun wählte ich noch einmal Katys Nummer.
Wieder keine Antwort. Noch einmal das Band.
Als ich in Knoxville ankam, checkte ich im Hotel ein, rief meinen Gastgeber in der Universität an und aß dann das gegrillte Hähnchen, das ich mir in einem Bojangles-Restaurant am Stadtrand gekauft hatte. Danach rief ich meinen Ehemann, von dem ich getrennt lebe, in Charlotte an und bat ihn, er möge sich um meinen Kater Birdie kümmern. Pete war einverstanden, meinte aber, er würde mir Transport und Futter in Rechnung stellen. Auch er hatte seit Tagen nichts von Katy gehört. Nachdem er mir eine Miniversion meiner eigenen Predigt gehalten hatte, versprach er, er werde versuchen, sie zu erreichen.
Als Nächstes rief ich Pierre LaManche an, meinen Chef im Laboratoire de Sciences Judiciaires et de Médecine Légale, um ihm mitzuteilen, dass ich in den nächsten Wochen nicht nach Montreal kommen würde. Er hatte bereits Berichte über den Absturz gehört und meinen Anruf deshalb erwartet. Schließlich rief ich meinen Fakultätsdekan an der UNC-Charlotte an.
Nachdem all diese Verpflichtungen erledigt waren, brachte ich eine Stunde damit zu, Dias auszuwählen und sie in Rundmagazine zu stecken. Danach duschte ich und versuchte es noch einmal bei Katy. Ohne Erfolg.
Ich sah auf die Uhr. Elf Uhr vierzig.
Es geht ihr gut. Sie ist nur Pizza essen gegangen. Oder sie ist in der Bibliothek. Ja. Die Bibliothek. Dort war ich auch sehr oft gewesen, als ich noch studierte.
Ich brauchte sehr lange zum Einschlafen.
Am nächsten Morgen hatte Katy noch immer nicht zurückgerufen und nahm auch nicht ab. Ich probierte Lijas Nummer in Athens. Auch dort bat eine Roboterstimme um eine Nachricht.
Ich fuhr zur einzigen Anthropologiefakultät Amerikas, die sich in einem Football-Stadion befindet, und hielt eine der unkonzentrierteren Vorlesungen meiner Karriere. Der Gastgeber dieser Ringvorlesung erwähnte in seiner Einführung meine Zugehörigkeit zum DMORT und ließ auch die Bemerkung nicht aus, dass ich bei der Bergung der TransSouth Air mitarbeiten würde. Die anschließende Diskussion ging kaum auf meine Vorlesung ein, sondern konzentrierte sich auf den Absturz. Ein Frage-und-Antwort-Spiel, das ewig zu dauern schien.
Als die Zuhörer schließlich zu den Ausgängen drängten, kam eine Vogelscheuche von einem Mann mit Fliege und Strickjacke sowie einer Lesebrille an einer Kette vor der Brust direkt auf das Podium zu. Da wir in einem Fachgebiet mit nur wenigen Mitgliedern arbeiten, kennen die meisten Anthropologen sich untereinander, und man sieht sich immer wieder bei Treffen, Seminaren und Konferenzen. Mit Simon Midkiff hatte ich schon des öfteren zu tun gehabt, und ich wusste, dass es ein längeres Gespräch geben würde, wenn, ich nicht standhaft blieb. Deshalb schaute ich mit Nachdruck auf meine Uhr, packte meine Notizen zusammen und stieg vom Podium herunter.
»Hallo, Simon, wie geht’s?«
»Ausgezeichnet.« Seine Lippen waren aufgesprungen, seine Haut trocken und schuppig wie die eines toten Fisches, der in der Sonne liegt. Winzige Venen durchzogen das Weiß seiner von buschigen Brauen überschatteten Augen.
»Wie geht’s der Archäologie?«
»Ebenfalls ausgezeichnet. Da man ja von etwas leben muss, arbeite ich an mehreren Projekten für das Department of Cultural Resources in Raleigh. Aber den größten Teil meiner Zeit verbringe ich mit dem Organisieren von Daten.« Er lachte schrill und klopfte
Weitere Kostenlose Bücher