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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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verweht.«
    Charles Wallace klammerte sich mit letzter Anstrengung an die Mähne. »Was sagst du da?«
    »Es hat uns in eine Projektion verweht, in ein Trugbild, in eine mögliche Zukunft, die die Echthroi verwirklichen wollen.« Gaudiors Atem ging keuchend; seine Flanken bebten.
    Charles Wallace schauderte, wenn er an den Flügelschlag der Finsternis und den üblen Gestank dachte, dem sie soeben entkommen waren. Was die Echthroi erreichen wollten, mußte wahrhaft schrecklich sein.
    Sie befanden sich auf ebener Fläche, auf nacktem Grund, der erstarrter Lava glich, von dem aber ein unheimliches fahles Leuchten ausging. Der Himmel war mit flackernden rosafarbenen Wolken bedeckt. Die scharfe, beizende Luft reizte die Lungen. Es war unerträglich heiß, und Charles Wallace schwitzte in seinem Anorak, der die Hitze wie ein Backofen aufstaute.
    »Wo sind wir?« fragte er und hoffte, daß Gaudior ihm sagen würde, dies sei nicht mehr seine vertraute Umgebung; denn was wäre dann aus dem Sterngucker-Felsen und dem Wäldchen geworden?
    »Wir sind noch immer in deinem Wo«, sagte Gaudior mit zitternder Stimme, zutiefst beunruhigt. »Aber noch sind wir nicht in einem tatsächlichen Wann.«
    »Wird es so werden?«
    »Es ist eine jener Projektionen, die zu verhindern wir berufen wurden. Die Echthroi werden aber alles daransetzen, sie zu verwirklichen.«
    Charles Wallace blickte sich in der verwüsteten Landschaft um. »Was machen wir jetzt, Gaudior?«
    »Nichts. Halte dich immer an meiner Mähne fest; lockere nie deinen Griff. Die Echthroi warten jetzt nur darauf, daß wir etwas tun – und genau das könnte dazu führen, daß ihre Projektion sich erfüllt.«
    »Können wir nicht fliehen?«
    Das Einhorn zuckte nervös mit den Ohren. »Es ist immer schwer, wieder in den richtigen Wind zu finden, wenn man einmal in ein Trugbild verweht wird.«
    »Aber wir können doch nicht ganz untätig bleiben!«
    »Uns bleibt keine andere Wahl, als abzuwarten, was geschieht.«
    »Ist hier alles Leben ausgestorben?«
    »Das weiß ich nicht.«
    Plötzlich frischte der Wind auf. Er stank nach Schwefel. Der Junge und das Einhorn wurden von schweren Hustenkrämpfen geschüttelt, aber noch gelang es Charles Wallace, sich festzuhalten. Endlich konnte er wieder freier atmen und trocknete die tränenden Augen an Gaudiors silberner Mähne.
    Als er hinterher den Kopf hob, erschrak er so sehr, daß es ihm einen Stich ins Herz gab: Über die aufgerissene Erde watschelte ihnen ein hünenhaftes Ungeheuer entgegen. Der plumpe Leib und die Stummelbeine waren mit aufgebrochenen Pusteln übersät; die langen Arme pendelten tief herab, die Handflächen streiften den Boden. Das Gesicht – oder was von einem Gesicht geblieben war – bestand fast zur Gänze aus Narben und eiternden Wunden, zwischen denen ein einziges Auge herausstarrte. Das Ungeheuer blickte immer wieder über die Schulter zurück, als riefe es einem nachfolgenden Gefährten etwas zu, und hastete dann weiter, so schnell es seine Beinstümpfe trugen.
    Gaudior wieherte verzweifelt, und silberne Flammen schlugen aus seinen Nüstern: »Der Himmel stehe uns bei!«
    Das riß Charles Wallace aus seiner Erstarrung. Er richtete sich hoch auf und schrie:
    *
    » In der Stunde, die alles entscheiden kann,
    ruf ich mit Gaudior die Himmel an.
    Ich rufe die Sonne in gleißendem Brand,
    ich rufe den sanftweißen Schnee überm Land… «
    *
    Charles Wallace rang nach Atem. Die heiße Luft brannte in den Lungen, wieder wurde er von schmerzhaften Hustenkrämpfen geschüttelt. Er vergrub das Gesicht in der Mähne des Einhorns und bemühte sich mit letzter Kraft, den Anfall zu überwinden. Erst als ihm das schon beinahe gelungen war, wurde ihm bewußt, daß etwas Kühles seinen fieberheißen Nacken streifte. Er hob den Kopf, und was er sah, ließ ihn dankbar und erleichtert aufatmen: Aus dem gemarterten Himmel fiel sanfter, weißer Schnee und bedeckte das zerschrundene Land.
    Das Ungeheuer war stehengeblieben, starrte nach oben und ließ die Flocken in das weit aufgerissene Maul rieseln.
    Mit dem Schnee war eine leichte Brise aufgekommen, ein angenehm kühler Wind. »Festhalten!« rief Gaudior und entfaltete die Flügel, damit sich der Wind in ihnen fangen konnte. Die vier Hufe hoben vom Boden ab, und kraftvoll schwang sich das Einhorn in die Strömung.
    Charles Wallace preßte die Beine gegen Gaudiors Flanken und duckte sich so eng an den warmen Leib, daß er den rasenden Herzschlag spüren konnte. Mit weiten

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