Durch Zeit und Raum
Flügelschlägen entfloh das Einhorn auf dem Pfad des Windes in die dunklen Weiten des Alls – und dann schlug plötzlich eine Fontäne aus Sternen über ihnen. zusammen, und sie hatten den schrecklichen Gestank und alle Angst hinter sich gelassen.
In vollen Zügen sog das Einhorn die sternenhelle reine Luft ein; ruhiger schwangen die Flügel; und bald ritten sie wieder unbeschwert auf dem Wind, und der Gesang der Sterne begleitete sie auf dem Weg.
»Jetzt können wir weiter«, sagte Gaudior.
»Wohin?« fragte Charles Wallace.
»Doch nicht wohin «, erwiderte Gaudior. »In ein anderes Wann.«
Immer höher hinauf ging es zwischen den Sternen, bis in die fernsten Tiefen des Alls, in denen sich die Milchstraßen mit den Zeiten verwoben.
Charles Wallace fühlte, wie ihm vor Erschöpfung die Lider schwer wurden.
»Nicht einschlafen!« rief Gaudior.
Charles Wallace sank über dem Hals des Einhorns zusammen. »Ich glaube nicht, daß ich dagegen ankämpfen kann«, stammelte er mühsam.
»Dann sing!« befahl Gaudior. »Sing, damit du dich wach hältst.« Und er begann selbst zu singen, in vollen und herrlichen Harmonien. Zaghaft stimmte Charles Wallace in den Gesang ein; erst zitterte seine Stimme unsicher, aber bald begleitete er Gaudiors mächtiges Orgeln mit seinem hellen Tenor. Er kannte das Lied nicht, und doch kam ihm die Melodie wie von selbst in den Sinn, als sei sie ihm schon immer vertraut gewesen.
Sie durchmaßen die Zeitwirbel einer entlegenen Galaxis, und Charles Wallace erkannte, daß auch sie Teil eines unermeßlichen kosmischen Orchesters war, in dem jeder Planet, jeder Stern mit seiner Stimme zur Musik der Sphären beitrug: Solange noch irgendwo im Universum die Uralten Harmonien erklangen, war die Freude nicht ganz verloren.
Daß Gaudior wieder festen Boden unter den Hufen hatte, merkte Charles Wallace erst, als die Melodie des Alls immer leiser wurde und zuletzt nur noch als Gefühl berückender Schönheit blieb. Da verstummte auch Gaudior, seufzte aus vollem Herzen und faltete die Flügel an die Flanken.
Meg seufzte, als die schöne Melodie verklang und nur noch das sanfte Weben des Windes in den kahlen Bäumen zu hören war. Sie spürte auf einmal, daß es im Zimmer kalt war, obwohl sie die Heizsonne eingeschaltet hatte und im Treppenhaus die warme Luft bis zum Dachboden aufstieg.
Meg langte über Ananda hinweg zum Fußende des Bettes, griff nach der Daunendecke und hüllte sich und den Hund darin ein. Ein Windstoß rüttelte am Fenster – aber das war nichts Besonderes; man mußte immer ein Stück Karton oder einen Holzkeil zwischen Rahmen und Fensterstock klemmen.
»Ananda, Ananda!« sagte Meg leise. »Diese Musik war – wirklicher als alles, was ich bisher im wirklichen Leben gehört habe. Ob sie noch einmal erklingen wird?«
So rasch, wie der Wind gekommen war, erstarb er auch wieder, und die Wärme des Heizstrahlers machte sich stärker bemerkbar.
»Ananda!« sagte Meg. »Charles Wallace ist zwar schon fünfzehn, aber doch noch ein kleiner Junge. Wohin Gaudior ihn jetzt wohl bringt? Und in wen wird er dort schlüpfen müssen?«
Sie schloß die Augen und legte die Hand fest auf Anandas Fell.
Es war noch immer das Wo, in dem Harcel gelebt hatte; aber obwohl sie auch noch immer in einem Wann waren, das Gaudior als: »Es war einmal vor langer, langer Zeit« bezeichnet hätte, waren die kleinen Unterschiede nicht zu verkennen. Doch vielleicht lebten die Menschen hier nach wie vor in friedlicher Eintracht, so daß Charles Wallace keine Gefahr drohte? Nein, so jung, das fühlte Meg, war die Zeit nicht mehr.
Der See schwappte bis an den großen Felsen und erstreckte sich über das Tal hinweg bis an den Horizont: er war größer als zu Harcels Zeit. Der Felsen war von Wind und Regen flachgeschliffen worden und glich mittlerweile einer riesigen leicht geneigten Tischplatte. Der Wald war immer noch dicht und dunkel, bestand aber bereits aus vertrauten Bäumen, aus Föhren und Tannen, Eichen und Ulmen.
Es dämmerte.
Die Luft war frisch und blau und roch nach Frühling. Das Gras unter dem Felsen war wie von frisch gefallenem Schnee weiß gesprenkelt, doch das kam von den Blumen: sie sahen aus wie Narzissen und verströmten einen schweren, aromatischen Duft.
Auf der Felsplatte stand ein junger Mann.
Meg sah weder Charles Wallace noch das Einhorn. Nur den jungen Mann.
Harcel war jünger gewesen als Charles; dieser da war älter; wahrscheinlich nicht so alt wie Sandy und Dennys, aber
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