Durch Zeit und Raum
blieben. Die Llawcae, die Higgins, die Davey. Und ich mit Maddok spielen durfte.«
»Alles war einfacher«, räumte Ritchie ein. »Aber Veränderung ist der Lauf der Welt.«
»Verändert sich denn immer alles zum Guten?«
Ritchie schüttelte den Kopf. »Es gab mehr Freude, als nur unsere drei Familien hier lebten und kein Pastor Mortmain mit dürrer Hand unsere Lieder und Geschichten vom Tisch fegte. Ich kann und mag einfach nicht glauben, daß Gott nur saure Gesichter will und jedem Frohsinn zürnt… Jetzt aber fort mit dir, Bran. Ich habe Arbeit zu tun und du nicht minder.«
Als Brandon seinen Verpflichtungen nachgekommen war, kehrte er wieder zum Blockhaus zurück. Wie Maddok es ihn gelehrt hatte, setzte er dabei lautlos Fuß vor Fuß. Auch Ritchie war da und lehnte im Türrahmen. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte gnadenlos auf die Hütten und den ausgedörrten, staubigen Boden. Das Gras war braun geworden, und die Blätter hatten ihren Glanz verloren.
Ritchie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Es ist schrecklich heiß. Siehst du die Gewitterwolken?«
Brandon ließ den Blick über die Wolkenmassen schweifen, die sich am Horizont türmten. »Tag für Tag kommen sie. Und kein Tropfen Regen.«
Aus der Hütte drang ein leises, halb ersticktes Stöhnen, und Ritchie eilte hinein. Jetzt stieß Zylle einen Schrei aus, so laut und heiser, daß Brandon trotz der Hitze eine Gänsehaut bekam. »Lieber Gott!« flüsterte er. »Laß es Zylle gut überstehen!«
Um sich abzulenken, heftete er den Blick auf eine einsame kleine Wolke, die durch das trockene Himmelsblau trieb – und auf einmal sah er darin ein Bild: Zylle mit dem schwarzgelockten, blauäugigen Kind. Das Bild änderte sich. Die Mutter trug noch immer schwarzes Haar, aber ihr Gesicht war nun von wächsern heller Hautfarbe; statt dessen war der blauäugige Knabe dunkelhäutig geworden. Die Freude in den Zügen der Mutter war geblieben, doch die Landschaft hatte sich gewandelt: Da war die Wildnis eines heißen Landes. Und statt der vertrauten Kleidung aus Leder und handgewebtem Tuch trug die Frau ein schönes Gewand aus so feinem Stoff, wie Brandon ihn noch nie gesehen hatte.
Das Kind begann zu weinen – aber das Weinen kam nicht von dem Säugling in der Wolke, sondern aus der Hütte: der erste Lebensschrei des Neugeborenen.
Die Gute Llawcae kam an die Tür, ihr Gesicht strahlte. »Du hast einen kleinen Neffen bekommen, Brandon, einen allerliebsten Knaben! Und Zylle ist wohlauf und überglücklich. Ja, dräut die Nacht auch mit Sorgen, bringt Freude der Morgen , wie die Alten immer sagen.«
»Es ist mitten am Nachmittag.«
»Wer wird denn gleich alles wörtlich nehmen! Lauf schon und bring deinem Vater die Kunde!«
»Darf ich denn nicht zu Zylle und dem Kleinen?«
»Erst, nachdem es sein Großvater gesehen hat. Das ist sein Vorrecht. Wirst du wohl laufen!«
Als sich die Gute Adams endlich verabschiedet hatte, scharten sich die Llawcae um Mutter und Kind. Zylle lag auf dem großen, mit reichem Schnitzwerk verzierten Bett, das Richard Llawcae ihr und Ritchie als Hochzeitsgabe gefertigt hatte. Durch die geöffnete Tür zur Stube fiel das Licht in den Raum. Zylle hielt das Neugeborene im Arm. Seine Augen waren fest geschlossen, es ruderte suchend mit den winzigen Fäusten und der kleine Mund öffnete und schloß sich, als wolle das Kleine die Luft trinken, das neue, seltsame Element, in das es nun geraten war.
»Rieche nur, schmecke nur!« sagte Zylle leise und küßte das Kind zärtlich auf das dunkle, nasse Haar. Auch seine kupferbraune Haut war noch feucht von der Anstrengung der Geburt und der Schwüle im Raum. In der Ferne grollte der Donner.
»Seine Augen?« flüsterte Brandon.
»Blau. Die Gute Adams meint, oft ändere sich mit der Zeit die Farbe der Augen – nicht aber bei ihm, bei Bran. Dürfen wir ihn nach dir benennen? Kein Kind könnte sich einen besseren Onkel wünschen.«
Brandon nickte, errötete vor Freude und berührte sanft mit der Fingerspitze die Wange des Kleinen.
Richard Llawcae schlug die große, abgegriffene Bibel auf und begann laut den 116 . Psalm zu lesen:
» Ich liebe den Herrn, denn er hört die Stimme meines Flehens. Er neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen. Stricke des Todes hatten mich umfangen, des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not. Aber ich rief an den Namen des Herrn: Ach Herr, errette mich! Der Herr ist gnädig und gerecht. Der Herr
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