Durch Zeit und Raum
leise.
Sie hatten das Bachufer verlassen und gingen schweigend weiter, bis sie die Rodung erreichten, auf der sich die Blockhütten drängten.
Das Haus der Llawcae befand sich am Rand der Siedlung. Es war groß und stattlich, mit einem zentralen Wohn- und Eßraum, an den zu beiden Seiten die Schlafräume grenzten. Brandon schlief in einem kleinen Anbau, der kaum Platz für das schmale Bett, den Stuhl und die Truhe bot. Aber hier war sein eigenes Reich, und Ritchie hatte Brandon versprochen, demnächst ein Fenster in die Wand zu schneiden, wie dies nun auch die anderen Siedler allmählich wagten, weil ihnen das Dorf mittlerweile gefestigt und sicher schien.
In Brandons Verschlag war es stockfinster, aber daran hatte er sich gewöhnt und konnte sich darin frei bewegen, ohne eine Kerze anzuzünden. Brandon legte sich in seinen Kleidern aufs Bett. In der Ferne grollte der Donner, und mit dem Donner kam ein Echo, ein dumpfes, rhythmisches Dröhnen: Das Windvolk schlug die Trommeln zu den alten Gesängen, mit denen es um Regen betete.
Als er am Morgen erwachte, hörte er aus der Stube geschäftiges Rumoren und ging hinüber. Brandons Mutter goß Wasser in den großen, rußgeschwärzten Kessel, der an einer Kette über dem Feuer hing. Die Gute Adams, die Hebamme, sich ihrer Würde und Bedeutung voll bewußt, machte sich eifrig zu schaffen.
»Dies ist eine Erstgeburt!« sagte sie wichtigtuerisch. »Wir werden viel heißes Wasser brauchen – für das Indianerweib.«
»Zylle ist unsere Tochter!« sagte Brandons Mutter mit Nachdruck.
»Indianer bleibt Indianer, Gute Llawcae. Bei aller Anerkennung, daß wir es ihrer Anwesenheit verdanken, von den heidnischen Wilden in Frieden gelassen zu werden.«
»Das sind keine…« begann Brandon zornig, aber seine Mutter schnitt ihm das Wort ab:
»Brandon, deine Arbeit wartet!«
Er biß sich auf die Lippen und verließ die Stube.
Der Morgen war klar. Dünne Dunstschwaden trieben über den Boden; die Bergkämme verschwammen im Nebel. Bald würde ihn die Sonne vertreiben. Die Siedler waren froh, daß der schwere Tau und die feuchte Luft die Saat zumindest vor dem völligen Austrocknen bewahrten. Seit mehr als einem Monat hatte es nicht mehr geregnet.
Brandon ging zum Schuppen hinter dem Haus und ließ die Kuh ins Freie. Den ganzen Tag konnte sie mit den anderen Rindern des Dorfes auf der Weide bleiben. Erst vor Sonnenuntergang setzte sich Brandon aufs Pony, um die Kuh zum Melken heimzutreiben. Er schüttete dem Pony und der Stute den Hafer auf. Irgendwo hinter dem Haus begann jemand zu hämmern. Der Gute Llawcae und sein Sohn Ritchie waren die besten Zimmerleute weit und breit und hatten stets alle Hände voll zu tun.
Gut, daß Ritchie nicht gehört hat, wie die Gute Adams Zylles Volk heidnische Wilde nannte! dachte Brandon. Und: Gut, daß er sich mit Zylle zusammengetan hat.
Er ging zum Haus zurück. Das Bild, das er in der Nacht am Bach gesehen hatte, bedrückte ihn. Er hatte Angst vor dem dunklen Mann mit den bösen Gedanken, und er hatte Angst vor dem Feuer. Seit Brandon versuchte, seine Visionen zurückzudrängen, wurden sie immer schrecklicher.
Als er die Stube betrat – die Tür stand sperrangelweit offen, um Licht und Luft einzulassen —, kam Mutter aus dem Schlafzimmer und wandte sich an Ritchie, der unruhig vor dem Feuer auf und ab ging.
»Dein Vater braucht deine Hilfe, Ritchie. Zylle versucht, zwischen den Wehen Ruhe zu finden. Ich hole dich, sollte sie nach dir rufen.«
Die Gute Adams brummte: »Das Indianerweib weint nicht. Das ist ein schlimmes Zeichen.«
Ritchie riß es herum. »So ist die Sitte bei ihrem Volk, Gute. Zylle wird Euch keine Träne zeigen.«
»Heiden!« sagte die Gute Adams. »Sie sind…«
Aber die Gute Llawcae schnitt ihr das Wort ab. »Ritchie. Geh zu deinem Vater. Brandon. An die Arbeit.«
Ritchie stürmte aus der Stube, ohne die Hebamme eines weiteren Blicks zu würdigen. Brandon folgte ihm und rief ihm zu: »Ritchie!«
Ritchie blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
»Ich kann die Gute Adams nicht ausstehen!« platzte es aus Brandon heraus. »Ich hasse sie!«
Jetzt erst schaute Ritchie seinen jüngeren Bruder an. »Haß ist immer von Übel. Jeder in der Siedlung bekommt die scharfe Zunge unserer Guten Adams zu spüren. Aber ihre Hand ist gesegnet. Die Neugeborenen, die sie auf die Welt bringt, leben, und seit sie bei uns ist, starb noch kein Weib am Kindbettfieber.«
»Trotzdem war es schöner hier, als wir noch ganz unter uns
Weitere Kostenlose Bücher