Durch Zeit und Raum
ist zu säen oder zu ernten; und auch das ist eine gute und nützliche Kunst.«
»Maddok fehlt mir.« Anklagend senkte Bran den Blick. »Er kommt nicht mehr in unsere Siedlung.«
Zylle legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es hat sich manches geändert, seit so viele Familien in der Siedlung hausen. Maddok fühlt sich nicht länger willkommen.«
»Mir ist er immer willkommen!«
»Das weiß er. Und er vermißt dich auch. Aber nicht nur die Siedlung ist gewachsen; auch Maddok wächst heran und hat zunehmend im Hause zu schaffen. Doch wird er allezeit dein Freund bleiben.«
»Und ich bleibe der seine. Allezeit!«
»Deine Bilder…«Zylle starrte ihn forschend an. »Gelingt es dir mittlerweile, sie zurückzuweisen?«
»Nicht immer. Wenn ich etwas sehe, das einen Widerschein hält, kommen die Bilder manchmal von selbst, ohne daß ich mich dagegen zur Wehr setzen könnte. Aber ich versuche, sie nicht eigens heraufzubeschwören.«
»Wenn du deine Bilder siehst, kannst du mir davon getrost berichten, so, wie du sie Maddok geschildert hast.«
»Ritchie fürchtet sie.«
Zylle berührte seine Schulter mit sanftem Druck. »Das Leben beschert Ritchie nichts als harte Arbeit; da bleibt keine Zeit, Bilder zu sehen oder Träume zu hegen. Deine Mutter sagte mir, auch in Wales gäbe es Menschen, die mit dem Zweiten Gesicht begnadet seien, und man fürchte sie wohl ob ihrer Kunst, würde ihnen aber nie mit Mißgunst begegnen.«
»Ritchie meint, ich müßte mit Mißgunst rechnen. Hier ist alles anders als in Wales. Vor allem, seit Pastor Mortmain kam und die Kirche gebaut hat. Er schalt mich stets, wenn Maddok die Siedlung besuchte oder ich ins Indianerlager ging.«
»Pastor Mortmain ist bestrebt, den Weißen Mann von den Indianern zu trennen.«
»Aber warum?« rief Brandon aufgebracht. »Wir waren doch Freunde!«
»Und sind es nach wie vor«, versicherte Zylle. »Wann hast du zuletzt ein Bild gesehen?«
»Heute abend«, gestand er. »Ich sah den Widerschein der Kerze auf dem Kupferkessel, den Mutter soeben blankgeputzt hatte. Und ich erkannte darin ein Bild dieses Ortes, ja, von hier, wo wir jetzt stehen. Aber der Felsen war viel gewaltiger.«
Er wies auf das Tal.
»Und dort lag ein großer See, und die Sonne glitzerte in den Wellen.«
Sie starrte ihn verwundert an. »Zillo, mein Vater, sagt, das Tal sei einst von Wassern überflutet gewesen.«
»Und ich sah Maddok. Zuletzt war es doch nicht er, denn er war älter, und von heller Haut, aber er glich dennoch Maddok aufs Haar, so daß ich erst meinte, er müsse es sein.«
»Die Legende!« flüsterte Zylle. »Oh, Brandon, du und ich, wir sind einander so nahe. Mag sein, daß dies davon kommt, daß wir beide unsere Gaben im Verborgenen hüten müssen.« Sie hatte indessen kleine Pflänzchen gepflückt, die im Gras wuchsen. Nun hielt sie die Blüten ins Mondlicht. »Ich wußte, wo die heilenden Kräuter zu finden sind, die den Säuglingen zustatten kommen, wenn ihnen der bittere Winter den Atem schnürt, und die verhindern, daß sie sterben, wenn der Sommer so heiß lastet wie heute. Doch deine Mutter gemahnte mich, sie anderen nicht anzubieten; sie seien den Siedlern nicht willkommen. Aber für mich und für die Geburt des Kindes, das ich von Ritchie im Leib trage, will ich ihrer Hilfe nicht entsagen. Sie werden meine Pein lindern und uns ein kräftiges Kind schenken.« Sie breitete die Kräuter auf dem Felsen aus. Im Mondlicht schimmerten die zarten Blüten und die winzigen Stiele und Blätter wie von innen. Zylle blickte zum Mond auf und sang:
*
» Ihr Götter von Mond und Himmel und Wind,
kommt, oh kommt zu des Häuptlings Kind.
Ihr Götter von Wasser und Feuer und Erde,
kommt, daß neues Leben werde.
Schenkt ihm unsrer Ahnen Gaben:
Blaue Augen soll es haben.
*
Ihr Götter von Wasser und Erde und Feuer,
gebt uns, was meinem Herzen teuer.
Ihr Götter von Wind und Schnee und Regen,
gebt uns Pein und gebt uns Segen.
Verloren, gefunden, aus Schmerzen entbunden.
Das Blau verloren, das Blau gefunden. «
*
Dann fiel sie auf die Knie, atmete den Duft der Blüten ein, hob sie auf, nahm sie in beide Hände, preßte sie an die Stirn, an die Lippen, an ihre Brüste, an ihren gewölbten Bauch.
»Nehmen wir die Kräuter mit nach Hause?« fragte Brandon.
»Ich möchte nicht, daß die Gute Adams sie sieht.«
»Als Ritchie und ich zur Welt kamen, gab es noch keine Hebamme in der Siedlung.«
»Die Gute Adams ist eine treffliche Hebamme«, sagte Zylle mit
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