Durch Zeit und Raum
Atemnot. Etwas schnürte ihm die Kehle zu; seine Ohren dröhnten unter zunehmendem Druck. Wenig später ging es offenbar wieder nach oben, höher und immer höher, und wie ein Keulenschlag traf grelle Helligkeit seine geschlossenen Augen.
Endlich strömte wieder kalte Luft in seine Lungen.
Charles Wallace blinzelte vorsichtig ins Licht.
Sie waren nicht auf felsigen Boden, sondern ins Wasser geraten und nach dem Aufprall tief nach unten gedrückt worden.
»Gaudior!« rief er erschrocken. Das Einhorn trieb regungslos auf den dunklen Wellen, halb auf der Seite, so daß Charles Wallace mit einem Bein im Wasser hing.
Er streckte sich und beugte sich über den mächtigen Hals. Aus den silbernen Nüstern drang kein Atem. Die Brust hob und senkte sich nicht mehr, der Herzschlag war verstummt.
»Gaudior!« rief er verzweifelt. »Du darfst nicht sterben! Gaudior!«
Immer noch trieb das Einhorn willenlos dahin; kleine Wellen plätscherten ihm über das Haupt.
»Gaudior!« Mit aller Kraft hämmerte Charles Wallace gegen den erstarrten Leib. Die Rune! überlegte er fieberhaft, die Rune…!
Aber die Sprache gehorchte ihm nicht. Er konnte nur immer wieder den Namen des Einhorns brüllen: »Gaudior! Gaudior!«
Ein Zittern lief durch den mächtigen Körper – und dann: Gaudiors gurgelnder Atem, laut und dröhnend wie eine Orgel, in deren Pfeifen plötzlich ein gewaltiger Blasebalg fegt.
Charles Wallace schluchzte vor Erleichterung.
Das Einhorn öffnete die Augen. Noch waren sie ganz glasig, aber bald glänzten sie wieder diamantenhell, und Gaudior begann Wasser zu treten. »Wo sind wir?« fragte er.
»Mitten auf dem Meer«, sagte Charles Wallace und streichelte ihm zitternd und unendlich dankbar den Hals und die Mähne.
»In welchem Meer?« knurrte Gaudior vorwurfsvoll.
»Das weiß ich nicht.«
»Es ist deine Erde. Die solltest du doch wenigstens kennen.«
»Ist es denn tatsächlich meine Erde?« fragte Charles Wallace. »Die Echthroi haben uns furchtbar zugesetzt. Bist du sicher, daß wir nicht in eine Projektion geraten sind?«
Das Einhorn und der Junge hielten Ausschau. Ringsum erstreckte sich das Wasser bis an den Horizont. Auf dem klaren Himmel trieben vereinzelt Wolken.
»Das ist keine Projektion.« Gaudior schnaubte. »Aber so kann es überall in der weiten Schöpfung aussehen, auf jedem beliebigen Planeten, der von einer Lufthülle umgeben und mit Wasser bedeckt ist. Meinst du, daß dies hier einem Meer auf der Erde gleicht?« Er schüttelte das Haupt, und Tropfen sprühten aus seiner Mähne. »Ich kann noch nicht klar denken…« Gierig trank er den Wind, spuckte dann in hohem Bogen eine beachtliche Menge Salzwasser aus und stöhnte: »Ich muß das halbe Meer leergesoffen haben.«
»Ein recht irdisches Meer, immerhin«, bemerkte Charles Wallace vorsichtig. »Und es dürfte Winter sein.« Der Anorak des Jungen klebte in triefendnassen Falten am Körper; in den Stiefeln schwappte das beißend kalte Wasser. »Schau nur!« Charles wies auf ein glitzerndes Etwas, das in einiger Entfernung aus den Wellen ragte. »Ein Eisberg!«
»Und in welcher Richtung liegt Land?«
»Gaudior, wir wissen nicht einmal mit Sicherheit, in welcher Galaxis und auf welchem Planeten wir uns befinden. Wie kannst du da von mir erwarten, daß ich dir sage, wo die nächste Küste ist?«
Mit viel Mühe breitete Gaudior die Schwingen zu voller Spannweite aus. In breiten Bächen troff es aus ihnen. Das Einhorn hielt sich nur durch heftiges Strampeln über Wasser.
»Kannst du fliegen?« fragte Charles Wallace.
»Meine Flügel sind vollgesogen.«
»Kannst du wenigstens den Wind fragen, wo wir sind?«
»Den Wind… den Wind…«, wiederholte Gaudior verwirrt, und ein Schauder ging durch seinen Leib. »Wir schlugen so hart auf dem Wasser auf; es ist das reinste Wunder, daß wir uns dabei nicht alle Knochen gebrochen haben. Offenbar hat der Wind unseren Fall gebremst. Bist du noch festgebunden?«
»Ja, sonst wäre ich nicht hier. Bitte, frag den Wind!«
»Den Wind… den Wind…« Erneut schüttelte Gaudior Wasser aus seinen Schwingen. Dann riß er in der für ihn typischen Weise das Maul auf, fletschte die Zähne und schlürfte und schluckte die kalte Brise. Er schloß die Augen, und die Lider hoben sich dunkel vom hellen Fell ab, das jetzt bleich war wie das Mondlicht. Schließlich öffnete das Einhorn die Augen wieder, spuckte eine Wasserfontäne aus und rief: »Allen Milchstraßen sei gedankt!«
»Wo sind wir?«
»In deiner
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