Durch Zeit und Raum
hat heilsame Kraft.«
Die kühlen Tropfen rannen lindernd durch die ausgedörrte Kehle, wie Mondstrahlen, und während sie das Brennen im Hals besänftigten, wärmten sie zugleich den Körper des Jungen von innen her. Als Charles den seltsamen Mondzapfen bis auf den letzten Tropfen geschlürft hatte und dem Einhorn dafür danken wollte, bot sich ihm ein ungewöhnlicher Anblick:
Gaudior lag im Schnee, alle viere in die Luft gereckt, wälzte sich unablässig von einer Seite auf die andere und stieß dabei in selbstvergessenem Wohlgefühl brummende Laute aus. Dann kam er wieder auf die Beine und schüttelte sich, daß der Schnee nur so aus dem Fell stäubte. Die roten Striemen waren wie weggeblasen, die Haut glänzte glatt und unversehrt. »Mach es mir nach!« rief er.
Charles Wallace warf sich in den Schnee. Der war ganz anders als gewohnt; jede Flocke blieb für sich und prickelte angenehm kühl, gar nicht frostig; und ihre wundersame Wirkung reichte tief unter die Haut bis in die schmerzenden Muskeln. Charles ließ sich über den Schnee rollen und lachte vor Vergnügen. Dann kam der Augenblick, da er spürte, nun wieder ganz genesen zu sein. Er sprang auf.
»Gaudior, warum sind wir hier ganz allein? Wo sind die anderen Einhörner?«
»Nur jene, die durch die Zeiten reisen, kommen zur Brutstätte; und solange der kleine Mond scheint, können sie ihr fernbleiben und anderen Geschäften nachgehen, denn er hält die Eier warm. Gerade weil wir hier allein sind, habe ich dich auf diesen Stern und an diesen Ort gebracht.«
»Aber warum müssen wir allein bleiben?«
»Wenn meine Gefährten dich sähen, würden sie um ihre Eier fürchten.«
Charles Wallace reckte sich auf die Zehenspitzen. Trotzdem reichte er Gaudior nicht einmal bis zum Bauch. »Ihr seid so groß und hättet Angst vor mir?«
»Die Größe ist nicht von Bedeutung. Der kleinste Virus kann töten.«
»Warum sagst du ihnen nicht, daß ich weder ein Virus, noch eine tödliche Gefahr bin?«
Gaudior blies schnaubend die Luft aus den Nüstern. »Manche von uns sehen in der Menschheit durchaus eine tödliche Gefahr.«
Da mußte auch Charles Wallace seufzen, und er sagte nichts mehr.
Gaudior stupste ihn aufmunternd gegen die Schulter. »Aber wir anderen, die wir uns in den Galaxien umgesehen haben, wir wissen, daß solche Gedanken Unsinn sind. Es ist immer leicht, anderen die Schuld zuzumessen. Seit wir beide einander trafen, habe auch ich gelernt, daß viele meiner Vorurteile über die Sterblichen falsch waren. – Bist du bereit?«
Charles Wallace hob Gaudior bittend die Hände entgegen. »Darf ich wenigstens sehen, wie aus einem der Eier ein Junges schlüpft?«
»Dazu wird es erst kommen, wenn der dritte Mond aufgeht. Außer…« Gaudior trottete näher an die Eier heran, von denen jedes beinahe so groß war wie Charles Wallace. »Warte!« So, wie sie übereinandergetürmt waren, schienen sie von innen zu leuchten – wie riesige Perlen. Gaudior beugte den Nacken, bis seine Mähne lockend die Schalen streifte. Dann klopfte er ganz leise mit den Vorderzähnen gegen eines der Eier, richtete die Ohren auf wie empfindliche Antennen und lauschte gespannt. Nach einiger Zeit wiederholte er den Vorgang bei einem anderen Ei, dann beim nächsten, geduldig, ohne Hast. Schließlich hatte er eines gefunden, gegen das er ein paarmal pochte, ehe er einen Schritt zurücktrat und dem Jungen zunickte.
Das Ei war offenbar ein kleines Stück zur Seite gerollt, und während Charles Wallace näherkam, ruckte es los und rollte noch ein wenig weiter. Aus seinem Inneren hörte man leises Rumoren, und dann begann es zu leuchten. Das Pochen und Klopfen wurde immer lauter, und auch das Licht wurde so grell, daß es Charles in den Augen wehtat. Ein Knistern und Bersten – und wie ein Blitzstrahl drang das Horn durch die Schale, gefolgt von einem Kopf, der sich in die klare Luft reckte. Die silberhelle Mähne klebte feucht an Stirn und Hals. Zögernd öffneten sich die Lider mit den langen, seidigen Wimpern, und das junge Einhorn blickte sich zum erstenmal in seiner neuen Welt um. Schon fing sich das Licht der beiden Monde in seinen Augen und gab ihnen Glanz. Dann schüttelte sich das Einhorn und streifte die Reste der Eierschale ab. Als sie zu Boden fielen, zerstoben sie in zahllose winzige Flocken und wurden eins mit dem Schnee.
Noch stand das kleine Einhorn unsicher auf wackeligen Beinen. Es wieherte leise und – als lehnte es sich stützend gegen das Mondlicht – gewann
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