Durch Zeit und Raum
bringen.«
Manchmal geriet die Erde zwischendurch wieder aus der Bahn. Dann drohte sie ihn fortzuwirbeln, dann konnte er nicht mehr aufrecht stehen, dann mußte er im Bett bleiben, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Einmal, als er vorübergehend festen Boden unter den Füßen spürte, stieg er auf den Dachboden und kroch in die dunkelsten und schmutzigsten Winkel, bis er statt den Spinnweben etwas Festes zwischen den Fingern fühlte. Erst dachte er, es sei ein Tabaksbeutel, aber dann sah er, daß es in Wachstuch eingeschlagene Papiere waren. Briefe. Und Zeitungsausschnitte.
Briefe von Bran an Zillah, an Matthew. Wichtige Briefe.
Er starrte sie an, und die Buchstaben tanzten und verschwammen. Manchmal fügten sie sich zu Worten, zu einer Bedeutung, dann wieder zum Gegenteil. Chuck konnte die kleine Schrift nicht entziffern. Er preßte die Handflächen gegen die Augen, bis dahinter das Feuerwerk explodierte. Er begann vor Verzweiflung zu heulen. Dann brachte er die Briefe und Zeitungsausschnitte nach unten und versteckte sie hinter dem Kopfkissen.
Großmutter wird mir helfen. Sie wird mir alles vorlesen.
Das Kythen erreichte Meg in verwirrenden Wellen.
Manches verstand sie; doch gleich darauf verhedderte sie sich hilflos in Chucks gestörtem Kosmos.
Sie mußte sich aus dem Kythen lösen und klare Gedanken fassen.
Eines wird zunehmend klar, überlegte sie: Wir müssen herausfinden, ob Mad Dog Branzillo von Madoc oder Gwydyr abstammt. Das ist wichtig. Hier geht es – wie? irgendwie! – um die beiden Säuglinge in den Trugbildern. In den Visionen, die sowohl Madoc als auch Brandon Llawcae gehabt hatten.
Wir wissen nicht viel über Gwydyrs Nachfahren. Er fiel in Ungnade und ging schließlich nach Vespugia. Und wir glauben, daß Gedder von ihm abstammt. Über Madocs Nachkommen wissen wir ein wenig mehr. Immer, wenn Charles Wallace nach Innen ging, erwies sich, daß sie in unserer Gegend ansässig waren.
Es kommt also auf Branzillos Vorfahren an. Und über sie steht alles in dem Buch von Matthew Maddox. In dem Buch, an das Charles Wallace nicht herankommt, weil ihn die Echthroi davon abhalten. Aber selbst wenn es Charles Wallace und Gaudior gelänge, nach Patagonien zu kommen – was könnte, was sollte, was müßte er dort tun?
Langsam ließ sie sich ins Kythen zurückgleiten.
»Chuck!« Das war Beezies Stimme.
»Ich bin da.«
»Wie geht es dir?«
»Ich fühle mich schwindelig. Die Erde dreht sich so schnell. Wie damals, als wir in der Nacht die Leuchtkäfer sahen.«
»In der Nacht, als Pa starb?«
»Ja, wie damals.«
»Daran erinnerst du dich?«
»Natürlich.«
»Viele andere Sachen hast du vergessen. Deshalb kannst du nicht mehr in die Schule gehen. – Chuck?!«
»Ja?«
»Ma bekommt ein Baby.«
»Unmöglich. Pa ist tot.«
»Sie hat wieder geheiratet.«
»Sie und Gedder dürfen kein Kind bekommen. Das hätte Folgen, furchtbare Folgen.«
»Und ich dachte schon, du seist wieder wie früher. Ich dachte, du wärest wieder gesund.« Zorn und Verzweiflung machten ihre Stimme schrill. »Nicht Gedder. Sie hat Mortmain geheiratet.«
Er versuchte, zu ihr zurückzukehren, aber es gelang ihm nicht. »Das ist dasselbe. Sie riechen beide gleich. Das Kind muß von Madoc kommen. Bran und Zillah, sie, nur sie, dürfen ein Kind haben. So will es das Gebet.«
»Welches Gebet?« rief sie.
*
» Ihr Götter der Bläue, ihr Götter von Gold,
wann werden die rauhen Winde uns hold?
Ihr Götter von Wasser und Feuer und Wind,
wann nur, wann kommt es, kommt Madocs Kind?
Schenkt ihm unsrer Ahnen Gaben:
Blaue Augen soll es haben. «
*
»Woher kennst du das?«
»Aus den Brief en.«
»Aus welchen Briefen?«
Er wurde ungeduldig. »Aus Brans Briefen, natürlich!«
»Aber die haben wir alle gelesen. Da stand nichts dergleichen.«
»Ich fand noch mehr Briefe.«
»Wann? Wo?«
»Auf dem Dachboden. Großmutter hat sie mir vorgelesen.«
»Wo sind die Briefe?« fragte sie fordernd.
Er tastete unter dem Kopfpolster herum. »Da!«
Chuck ging durch den Frühlingsabend. Es roch nach frischem Gras und nach den Blüten, die von den Bäumen rieselten. Er ging über die Felder, über den Bach, trank das Wasser, das nach der Schneeschmelze schäumte. Dann hob er den Kopf, stand auf, ging weiter, ging zu dem großen, flachen Felsen. Der Schmerz begleitete ihn, und zwischen seinen Augen und der Welt hing ein dunkler Wolkenschleier. Stand ein Stuhl nicht am gewohnten Platz, rannte Chuck unweigerlich hinein. Die Bäume und
Weitere Kostenlose Bücher