Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
Vom Netzwerk:
so offen, und ihre Augen waren von einem kälteren Blau und konnten im Zorn funkeln. Nach seinem Unfall hatte sie Matthew zwar bemitleidet, aber daraus war nie echtes Mitgefühl geworden. Und Matthew wollte kein Mitleid.
    Gwen erwiderte seinen Blick. »Nun, was sagst du dazu, Matthew, daß dein Zwillingsbruder nach Hause kommt?«
    »Er wurde sehr schlimm verwundet, Gwen«, sagte er. »Er wird nie wieder der fröhliche, unbeschwerte Bran sein, als der er uns verließ.«
    »Er ist noch ein halbes Kind«, sagte Frau Maddox.
    »Er ist ein Mann«, widersprach Herr Maddox. »Und wenn er zurückkehrt, wird der Laden Maddox und Sohn heißen.«
    Maddox und Sohn , dachte Matthew ohne Bitterkeit. Nicht: Maddox und Söhne .
    Er setzte sich mit dem Rollstuhl etwas von den anderen ab. Matthew hatte sich ohnedies ganz der Schriftstellerei ergeben; ihm war gar nicht daran gelegen, Juniorpartner des Kaufhauses zu werden, einem großen und aufstrebenden Unternehmen mitten im Dorfzentrum. Die Maddox beherrschten auf viele Meilen den gesamten Handel in der Umgebung.
    Zu ebener Erde fand man in dem geräumigen Fachwerkbau alles an Lebensmitteln, was sich im Dorf nur brauchen ließ. Und im Obergeschoß waren Sättel und Zaumzeug ausgestellt, Gewehre und Pflüge – und sogar ein Sortiment von Rudern, als könne Herr Maddox nicht vergessen, daß einstmals das ganze Tal von einem großen See bedeckt war, obwohl daran nur noch ein paar trübe Teiche erinnerten.
    Matthew verbrachte meist den ganzen Vormittag im Laden und kümmerte sich um die Rechnungen und die Geschäftsbücher.
    Hinter dem Laden stand das Haus. Merioneth hieß es; und gleich daneben war Madrun , das Haus der Llawcaes: etwas pompöser, mit weißen Säulen und einer hellen Ziegelfront. Merioneth hingegen war eines der typischen dreigeschossigen Gebäude, die an die Stelle der früheren Blockhütten getreten waren, Fachwerkhäuser mit dunklen, schweren Fensterläden.
    »Die Leute halten uns für hochnäsig, weil wir unseren Häusern Namen geben!« hatte Bran einmal geklagt, kurz vor dem Unfall, als er mit Matthew von der Schule heimging.
    Matthew schlug ein Rad. »Mir gefällt das«, sagte er, nachdem er wieder auf die Beine gekommen war. » Merioneth heißt es nach einem entfernten Verwandten in Wales.«
    »Ich weiß, ich weiß. Vetter Michael Jones, der gefeierte Prediger von Bala in der Grafschaft Merioneth.«
    »Vetter Michael fühlt sich geschmeichelt, daß wir diesen Namen für das Haus gewählt haben. Er vergißt es kaum je in einem seiner Briefe zu erwähnen. Hast du übrigens gestern mitgehört, was Papa vorlas? Love Jones Parry, der Gutsherr von Madrun, also: vom richtigen Madrun, beabsichtigt, übers Meer zu kommen und nach Patagonien zu reisen. Er will dort das Land inspizieren und feststellen, ob es sich für eine walisische Ansiedlung eignen würde.«
    »Das ist das einzige, was mich an diesen langweiligen Briefen interessiert«, erwiderte Bran. »Ich reise für mein Leben gern, und wenn ich bloß Vater auf seinen Einkäufen begleite. Wenn der Gutsherr von Madrun tatsächlich diese Expedition unternimmt, dürfen wir vielleicht mitfahren.«
    Wenig später ereignete sich der Unfall; und Matthew konnte sich noch gut daran erinnern, wie Bran versucht hatte ihn aufzumuntern, indem er erzählte, daß Love Jones Parry tatsächlich nach Patagonien gegangen sei. Er ließ wissen, daß das Land, so rauh und unerschlossen es auch sein mochte, sich durchaus für eine Ansiedlung anbot. Dort würden die Waliser eine kleine Kolonie gründen und ihre Kinder in der Muttersprache unterrichten können. Die spanische Krone scherte sich kaum um diesen abgelegenen Winkel Patagoniens, in dem es bloß ein paar Indianerstämme und eine Handvoll versprengter Spanier gab.
    Aber Matthew wurde durch diese Nachricht keineswegs aufgemuntert. Im Gegenteil.
    »Wie schön für dich!« bemerkte er bitter. »Ich werde mein Lebtag hier in Merioneth bleiben müssen.«
    Bran war ihm zornig dazwischengefahren. »Kein Selbstmitleid! Diesen Luxus darfst du dir nicht leisten.«
    Und so ist es bis heute geblieben, überlegte Matthew. Und es fällt mir noch immer schwer, auf diesen Luxus zu verzichten…
    »Matt!« Das war Gwen. »Jetzt gab ich was für deine Gedanken.«
    Als Vater sie alle gerufen hatte, war Matthew beim Verfassen einiger Notizen gewesen. Der Schreibblock lag noch immer aufgeschlagen in seinem Schoß.
    »Ach«, sagte er. »Ich male mir gerade die Handlung für eine neue Erzählung

Weitere Kostenlose Bücher