Durch Zeit und Raum
nicht deshalb. Sondern weil er, wie du selbst sagst, ein brutaler Mensch ist.«
»Gwen kann sehr gut selbst auf sich aufpassen. Das hat sie immer schon getan. Außerdem würde Papa da schon ein Wörtchen mitreden.«
Die Stille wurde peinlich. Matthew brach das Schweigen. »Du darfst Zillah nicht aus deinem Leben ausklammern.«
»Wenn ich sie liebe, muß ich sie freigeben.«
»Sie möchte aber nicht frei sein. Sie liebt dich.«
Bran ließ sich auf sein Bett fallen. »Ich kann nichts und niemanden mehr wirklich lieben. Für mich gibt es überhaupt keine Liebe mehr.«
»Warum?«
»Das fragst du noch?«
»Ja. Denn von selbst sprichst du nicht mit mir darüber.«
»Früher wußtest du über mich Bescheid, ohne lange fragen zu müssen.«
»Das könnte ich immer noch. Wenn du dich nicht so völlig von mir abschließen würdest.«
Bran warf rastlos den Kopf auf dem Kissen hin und her. »Sei nicht so ungeduldig mit mir! Papa treibt es schon arg genug.«
Matthew ließ sich zum Bett rollen. »Du kennst Papa.«
»Ich bin ebensowenig zum Kaufmann geboren wie du. Nur Gwen hat von Papa den harten Geschäftssinn mitbekommen. Aber mir fehlt dein Talent; anders als du kann ich mich nicht herausreden und Papa eine Alternative bieten. Und er hat von allem Anfang an damit gerechnet, daß ich eines Tages den Laden übernehmen werde. Ich mag aber nicht. Ich wollte es nie.«
»Was willst du denn?«
»Wenn ich das nur wüßte. Das einzige Gute, das ich im Krieg gelernt habe, ist, daß es mir Freude macht, in der Welt herumzukommen. Ich liebe das Abenteuer. Aber ich will nicht töten müssen. Und es sieht so aus, als ließe sich das eine nicht vom anderen trennen.«
So nahe waren sie einander seit Brans Rückkehr noch nie gekommen. Matthew faßte neuen Mut.
Matthew hatte sich in die gute Stube zurückgezogen, weil dort selten jemand anzutreffen war, saß in einem sonnigen Winkel und hatte den Schreibblock auf den Knien.
So stöberte Bran ihn auf. »Zwilling«, sagte er,»ich brauche dich.«
»Ich bin hier«, erwiderte Matthew.
Bran setzte sich rittlings auf den hohen Stuhl mit dem vergoldeten Schnitzwerk und stützte die Arme auf die Lehne. »Matt, nichts läuft so, wie ich es gedacht hatte. Ich bin in den Krieg gezogen wie der Sir Galahad in der Artussage, weil ich glaubte, ich müßte meine Mitmenschen aus dem Joch der Versklavung befreien. Aber so einfach war es nicht. Da wurde auch um andere Werte gekämpft, die weit weniger edel waren. Und keiner kümmerte sich darum, daß hier Menschen kläglich verschmachten mußten. Wofür? Für kleinlichen politischen Ehrgeiz. Für Bestechlichkeit und Machthunger. Matt, ich sah einen Menschen, dem man das Gesicht weggeschossen hatte. Da war kein Mund mehr, der schreien konnte. Und trotzdem schrie dieser Mann und konnte nicht sterben. Ich traf zwei Brüder; der eine gehörte zu uns und der andere zum Feind. Und ich will dir gar nicht erst verraten, welcher der beiden es war, der seinem eigenen Fleisch und Blut den Säbel in den Leib rannte. Mein Gott! Bruder gegen Bruder! Kain und Abel, wieder einmal. Und mich, mich hatte man zum Kain gemacht. Was will Gott mit einer Nation zu tun haben, in der sich der Bruder mit solch gemeiner Gewalt gegen den Bruder erhebt?« Brans Stimme wurde von einem Schluchzen erstickt.
Matthew ließ sein Schreibbrett sinken, zog Bran an sich, und sie weinten gemeinsam, und aus Bran brach die ganze Angst und der Schrecken des Alptraums hervor, die er erlebt und erlitten hatte. Und Matthew hielt Bran in seinen Armen und nahm ihm den Schmerz.
Als alles gesagt war, nickte Bran Matthew zu. »Ich danke dir, Zwilling.«
Matthew hielt ihn noch immer fest. »Du bist wieder da, Bran. Wir gehören wieder zusammen.«
»Ja. Für immer.«
»Wie gut, daß du ins Leben zurückgefunden hast.«
»Ins Leben zurückzufinden, tut aber weh. Ich muß meine Schmerzen fortschaffen.«
»Wie meinst du das?« fragte Matthew überrascht.
»Matt, Zwilling. Ich verlasse euch.«
»Was?« Fassungslos starrte Matthew Bran an, der hoch aufgerichtet und fest entschlossen vor ihm stand. Die gelben Gardinen dämpften das Licht im Raum, aber die volle Sonne fing sich in Brans Haaren. »Wo willst du hin?«
»Das errätst du nie.«
Matthew konnte warten.
»Papa bekam einen Brief aus Wales. Von unserem Vetter Michael. Eine kleine Schar Waliser ist nach Patagonien aufgebrochen und will dort eine Kolonie gründen; vielmehr: sie sind mittlerweile bereits eingetroffen. Ihnen will ich mich
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