Durchgebrannt - Roman
andere vergessen.
Julia und Corinna kommen jede mit einer Box voll klapperndem Geschirr vorbei. »Ihr faulen Säcke hättet mal beim Abwasch helfen können«, sagt Corinna unfreundlich.
»Wir haben 'ne Spülmittelallergie«, kontert Ferhad und legt den Arm um Ricarda. Er ist so beschäftigt damit, ihr mit seinen Sprüchen zu gefallen, dass er nicht merkt, wie Corinna ihm die Flasche Spülmittel in die Plastiktüte steckt und sich dafür ein Alkoholmixgetränk greift.
Soll sie. Das Portemonnaie kann sie ihm meinetwegen auch noch klauen.
»Was machen wir dann jetzt?«, frage ich Ricarda. »Sollen wir ohne Lea losgehen?«
»Meinetwegen hätten wir vorhin schon zum Strand gehen können.«
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
»Mal sehen«, antwortet sie schnippisch. Ich stupse sie mit dem Fuß an. Da lächelt sie halbwegs versöhnt.
»Lea? Leeeeea?«, ruft Nathalie neben mir gelangweilt und völlig sinnlos. Wie soll die das in diesem Trubel hören? Mit ihrem Geschrei erreicht Nathalienur, dass ich Ohrenschmerzen kriege und Lennart angekrochen kommt. Der hat allerdings Oberwasser, weil er uns ein Mal im Leben etwas voraushat.
»Ich weiß, wo sie ist«, ruft er; es fehlt nur noch, dass er den Arm hochstreckt und mit den Fingern schnipst. »Die füttert ein Eichhörnchen.«
Eric kriegt einen Lachanfall. »Du bist selber so 'n Eichhörnchen.«
Das klingt für seine Verhältnisse fast schon freundlich, was bei Lennart sofort auf fruchtbaren Boden fällt. »Kommt, Leute, sie ist da hinten.«
Wir setzen uns in Bewegung. Ferhad drängt an Ricardas Seite, aber ich bleibe dran, springe geschickt über eine Zeltleine und entlocke Ricarda ein Grinsen, als ich mir im Vorbeigehen von einem fremden Tisch eine Frikadelle stibitze.
Lea hockt tatsächlich am Rand des Campingplatzes vor einer Hecke, hält am ausgestreckten Arm ein Stück Nussbrot und schnalzt mit der Zunge, um ein Tier anzulocken. Sie erinnert mich an das kleine Mädchen aus dem Park, aber als sie sich zu uns umdreht und uns angrinst, mit ihren vielen silbernen Ohrringen und den kecken kurzen Haaren, ist sie einwandfrei wieder Ricardas besserwisserische Freundin. Eine nette Art hat sie aber schon und einen Augenblick lang freue ich mich sehr, dass sie mich mag.
»Das Eichhörnchen kann nicht laufen. Ich glaube, es ist krank oder verletzt.«
»Hey, Vorsicht!« Eric fasst sie an der Schulter, willsie zurückziehen. »Ich bin als Kind mal von einem Eichhörnchen gebissen worden. Lacht nicht! Man weiß nie, ob die Tollwut haben. Meine Mutter hatte tierisch Angst, dass ich mich angesteckt haben könnte.«
»Hast du bestimmt.« Ferhad klopft ihm auf die Schulter. »Das erklärt vieles.«
Eric lacht und scheucht das Tier mit den Armen. »Ksch, ksch, zisch ab!«
»Ey, Eric, hör auf«, beschwert sich Lea. »Ich hab's die ganze Zeit angelockt und jetzt kommst du . . .«
»Nee, das Vieh soll abhauen, ich bin auch dafür«, sagt Ferhad. »Wenn das echt Tollwut hat oder 'ne andre Seuche, soll's uns nicht zu nahe kommen.«
»Genau«, ruft Nathalie übertrieben ängstlich. Ricarda äußert sich nicht, weicht aber sicherheitshalber zurück.
Irgendwie haben sie ja recht. Dieses Tier verhält sich nicht normal. Es könnte wirklich infiziert sein. Trotzdem, oder gerade deshalb, muss man es nicht jagen. Man sieht doch, dass es kaum laufen kann. Es ist kurz vorm Verenden.
Das sieht man doch.
»Lasst es in Ruhe«, rufe ich und spüre mein Herz bis ins berstende Hirn hämmern. Ich will meine Klappe halten, ich sollte es unbedingt, aber die Worte brechen aus mir heraus: »Lasst es einfach in Ruhe sterben!«
Ricarda sieht mich erschrocken an. Nils legt mir eine Hand auf die Schulter. »Flo, ey«, sagt er freundlich, »das ist nur 'n Eichhörnchen.«
»Genau«, fällt Eric pragmatisch ein, »wir tun dem vielleicht 'nen Gefallen, wenn wir's erlösen. Unsere Katze mussten wir auch einschläfern lassen.«
Ich schnappe nach Luft.
»Nein«, ruft Lea im gleichen Augenblick, »dazu habt ihr kein Recht.«
Doch Eric guckt voller Unschuld. Eric mit seinen lächerlichen, zu langen Ponyfransen, die er sich ständig aus dem Gesicht pusten muss. »Das war viel besser so, Lea. Ehrlich. Die Katze hat nur noch gelitten.«
»Warum erzählst du diese Scheiße?« Ich brülle ihn an. Mein Gesicht glüht, mein Herz dröhnt mir durch den Schädel. Meine Arme schießen vor und ich versetze ihm einen harten Schlag vor den Brustkorb.
»Was ist denn mit dir los?«, keucht er
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