Durchschaut - Das Geheimnis, kleine und große Luegen zu entlarven
anderer Lügendetektortest funktioniert auch nur annähernd so zuverlässig. Allerdings muss es dafür Informationen geben, die nur dem Täter und der Polizei bekannt sind, damit nicht auch Unschuldige aufhorchen.
Erfreulicherweise kann diese phänomenale Methode auch im Alltag angewandt werden, und zwar ganz ohne technisches Gerät. Dafür können wir dem sogenannten Orientierungsreflex ( orienting reflex ) danken: In den zwanziger Jahren fand der russische Mediziner und Physiologe Iwan Pawlow heraus, dass beim Menschen eine Reaktion eintritt, wenn er mit einem persönlich bedeutsamen Reiz konfrontiert wird - das heiÃt, mit einer Tatsache oder einem Detail, die ihm aus seinem eigenen Leben vertraut sind. Entsprechend
reagieren die Verdächtigen beim Lügendetektortest auf Einzelheiten, über die sie nur zu gut Bescheid wissen.
»Orientierungsreflex« klingt abstrakt, doch man kann diesen Mechanismus jederzeit im Alltag beobachten. Ein Beispiel: Sie sind auf einer Party, um sie herum laufen zahllose Gespräche ab, es ist laut, Gläser klirren, Stimmen übertönen sich gegenseitig - doch sobald irgendwo in Hörweite Ihr Name fällt, hören Sie ihn sofort heraus, selbst wenn Sie gerade an einer anderen Unterhaltung teilnehmen. Diese erstaunliche Tatsache taufte der britische Psychologe Colin Cherry im Jahr 1953 auf den Namen »Cocktailparty-Phänomen«. Es ist ein Reflex, der uns auf das reagieren lässt, was uns am vertrautesten ist: auf unseren Namen. Die Reaktion mag bei jedem etwas anders ausfallen, aber wir weichen ausnahmslos von unserem vorherigen Verhalten ab.
Zum Entlarven von Lügen kann der Orientierungsreflex bewusst verwendet werden, indem man ihn zum Kern einer bestimmten Form der Frage macht, die ich »Reflexfrage« nennen möchte.
Das Brain Fingerprinting und P300-Gehirnwellen
Der US-amerikanische Neurowissenschaftler Lawrence Farwell entwickelte das Brain Fingerprinting , ein Verfahren, bei dem mittels EEG (Elektroenzephalogramm) eine Kombination verschiedener Gehirnwellen gemessen wird. Eine dieser Gehirnwellen trägt den Namen P300. Sie tritt auf, wenn man Informationen wiedererkennt - sprich, wenn der Orientierungsreflex einsetzt. Die Methode des Brain Fingerprinting registriert Veränderungen also nicht über körperliche Merkmale (wie der Lügendetektor), sondern über Gehirnwellen, was sie noch etwas zuverlässiger macht.
Seine Erfinder preisen das Brain Fingerprinting als völlig neuartiges Verfahren zum Entlarven von Lügen an. Das ist allerdings selbst gelogen beziehungsweise ein wenig hochgestapelt: Theorie und Fragestellung sind dieselben wie beim klassischen Lügendetektortest. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Abweichungen von der Baseline anders und dadurch einen Tick genauer gemessen werden.
Der Preis für diesen minimalen Gewinn ist hoch: Um mit dem Brain Fingerprinting zu arbeiten, braucht man eine sehr teure und unpraktische Apparatur. Deshalb wenden Praktiker diese Methode kaum an.
Der Schlüssel: Reflexfragen
Was soll das sein, eine »Reflexfrage«? Reflexfragen werden auf ganz bestimmte Weise formuliert - und zwar so, dass der Ehrliche nichts in ihnen wiedererkennt, der Lügner aber sofort Einzelheiten seiner Tat heraushört und daraufhin sein Verhalten merklich ändert. Entscheidend ist, dass die Fragen wichtige Elemente der Tat enthalten, ohne gleich konkrete Vorwürfe zu erheben. 11
Ein Beispiel: Im Büro ist mal wieder der Locher verschwunden. Sie verdächtigen einen bestimmten Kollegen, der schon einmal Büromaterial hat mitgehen lassen. Wollen Sie ihm mit Hilfe der Reflexfrage auf die Schliche kommen, schauen Sie an seinem Schreibtisch vorbei und fragen ganz naiv: »Sagen Sie mal, wann haben Sie den Locher eigentlich das letzte Mal gesehen?« Ist der Befragte unschuldig, wird er sich vielleicht über die seltsame Frage wundern. Haben Sie aber tatsächlich den Dieb ertappt, wird er sofort die Anschuldigung heraushören
und sein Verhalten ändern - also von der Baseline abweichen.
Wie man sieht, eignet sich die Reflexfrage hervorragend für Fälle, in denen man bereits vermutet, dass jemand auf eine bestimmte Frage hin lügen wird - das Erkennen der Lüge wird dadurch deutlich einfacher. Anders als beim Tatwissenstest braucht man hier kein besonderes Detailwissen, sondern kann auch einen vagen Verdacht als Frage verpacken und die
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