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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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mein Computer, die Webseite herunterzuladen. Nachdem ich den Aschenbecher und eine Flasche Bier aus der Küche geholt hatte, war es so weit. Ich versuchte mich in der Fülle der Informationen zurechtzufinden und stiess endlich auf den Vermerk Fo č a. Ich öffnete die betreffende Anklageschrift. Meine mangelnden Englischkenntnisse enthielten mir manche Information vor, aber an die Daten und Zahlen konnte ich mich halten: 1991 leben in der Gemeinde Fo č a 40513 Einwohner, 51,6 Prozent Muslime, 45,3 Prozent Serben. Am 7. April 1992 beginnt der Angriff. Neun Tage später ist die Stadt eingenommen. Wer kann, flieht. Dann folgt ein Abriss des weiteren Vorgangs: Trennung der Männer von den Frauen, massenweise Exekutionen, die Einrichtung der Lager für Frauen und Kinder – in Schulen, Sporthallen, Motels und Privatwohnungen. Die Anklageschrift spricht von koordiniertem Vorgehen. Die Lager werden erst im Februar 1993 aufgelöst.
    Weiter im Text folgender Satz: «Angeklagt wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, die Gebräuche und Sitten des Kriegsrechts, der Verletzung der Genfer Konvention und des Völkermords sind …» Ich zählte acht Namen. Und hier war er auch, Radomir Vukovi ć , geboren 1957 in Pale. Gebrauchtwagenhändler, Freischärlerführer und Militärpolizist. Ihm werden Vergewaltigungen von zum Teil krass minderjährigen Mädchen vorgeworfen, Folter, Mord und in zwei Fällen das Verkaufen von gefangenen Mädchen an montenegrinische Söldner.
    Nichts also mit der Krajina, dem Lebensmittelladen in der Nähe von Knin. Slavkovi ć war während des Kriegs in Bosnien und hat sich und seiner Frau eine falsche Identität verschafft, um als Flüchtlinge im Ausland Asyl zu erhalten. Ich stellte mir vor, dass es ihm, dem Veteranen und Kriegshelden der Serbischen Republik, ein Leichtes war, an gefälschte Pässe heranzukommen. Das also war sein Kommando: wehrlose Zivilisten zu terrorisieren.
    Ich machte mir Notizen und fuhr den Computer herunter. Nachdem ich die Kabel herausgezogen und zusammengerollt hatte, trank ich den Rest des Biers in einem Zug. Ich sah auf die Uhr. Für ein Telefongespräch mit dem Staatsanwalt war es zu spät. Ich stellte den Wecker auf acht und ging unschlüssig in der Wohnung auf und ab.
    Es war so still. Ausser den Geräuschen des Verkehrs und des Regens war nichts zu hören. Ich stand im Wohnzimmer und wusste nicht, wohin mich wenden. Auf einmal bedauerte ich, dass ich keinen Fernseher besass.
    Ich hätte nicht sagen können, wie lang ich so dagestanden hatte. Vermutlich war es der Gedanke an Anita, der mich aus der Erstarrung löste. Ich zog meine wasserdichten Stiefel an und eine Regenjacke.
    Der Regen war nicht schwächer geworden, im Gegenteil. Die Autos zischten über den Asphalt, der eine schwarze, spiegelnde Fläche war. Es kam mir nach der Stille in der Wohnung unsäglich laut vor. Ich machte einen ausgedehnten Spaziergang – auf beinahe denselben Wegen, die ich mit Anita gegangen war, als sie noch Rosalia hiess. Dabei kam ich auch an Silvans Grab vorbei. Die Kränze waren längst der Grünabfuhr zugeführt, das hölzerne Kreuz einem Grabstein gewichen. Ich kannte ihn bereits, nickte im Vorbeigehen nur kurz in seine Richtung.
    Unten an der Emme rauchte ich eine Zigarette. Das Wasser war gestiegen, eine tosende, schäumende Masse, die den untersten Teil der Landzunge mittlerweile überflutet hatte. Ich verfolgte die Fahrt eines Baumstrunks über eine Schwelle, in deren Strudel er eine Weile hängen blieb, unterging und mit Wucht wieder auftauchte, bevor er zügig auf der gebogenen Flussstrasse forttrieb.
    Als ich am nächsten Morgen um halb neun den sozialdemokratischen Staatsanwalt anrief, nahm niemand ab. Eine halbe Stunde später hatte ich Glück.
    «Ich muss Sie um einen Gefallen bitten …»
    «Ermitteln Sie bereits in einem neuen Fall?»
    «Sozusagen. Ich benötige einige Informationen, an die ich selber nicht herankomme.»
    «Nur zu.»
    «Ich brauch eine Liste all jener bosnischen Muslime, die seit 1992 nach Emmenbrücke gezogen sind. Name, Beruf, Herkunftsort, aktuelle Adresse.»
    Er überlegte nicht lang. «Dürfte schwierig sein. Das sind streng vertrauliche Daten.»
    «Deshalb richte ich mich ja an Sie. Sie sind Staatsanwalt.»
    Er lachte ausgiebig. «Sie stellen sich das etwas gar einfach vor. Ich muss mein Gesuch begründen, womöglich benötige ich eine richterliche Verfügung.»
    «Ich vertraue auf Sie …»
    Es war still geworden in der Leitung. Ich musste den

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