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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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nicht dafür interessiert hab. Aber ich könnte meinen Vater fragen, der hat immer die Zeitungen gelesen.»
    «Ja, bitte mach das.»
    Danach ging ich ins Bett. Es liess sich nicht vermeiden, dass sich – kaum hatte ich die Augen geschlossen – eine Schar feingliedriger Nachtfalter in Richtung Zürich aufmachte. Kurz darauf war ich eingeschlafen.
    Als ich erwachte, regnete es. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker. Es war bereits fünf Uhr. Ich war hungrig. Das Nächste, was mir ins Bewusstsein trat, war das Ereignis von letzter Nacht. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, einfach so abzuhauen. Ich hätte zumindest einige Zeilen schreiben können. «Liebe Anita. Danke. Komm mich besuchen, wenn du mal aus Zürich rauskommst.» Oder so ähnlich.
    Ich ging einen Kebab essen. Danach machte ich einen Abstecher zur Emme, um zu sehen, wie viel Wasser sie führte. Es regnete in einem fort. Ich stand auf der Landzunge zwischen Kanal und Emme. Bereits schwappte das Wasser über den ausgewaschenen Rand der Betonplattform. Am anderen Ufer staute sich der Feierabendverkehr in Richtung Seetalplatz.
    Wieder musste ich an Anita denken. Es wäre romantisch gewesen, mit ihr hier draussen. Womöglich fast so romantisch wie einsam und durchnässt, mit dieser Vorstellung am trüben Horizont, eine Zigarette zu rauchen.
    Adnan hatte eine Nachricht hinterlassen: «Also, ich hab meinen Vater gefragt. Der Name sagt ihm auch nichts – ausser dass Vukovi ć ein typisch serbischer Name ist.»
    Pause, in der nur Adnans Atemgeräusch zu hören war.
    «Bei Fo č a hingegen hat es bei ihm gleich geklingelt … Ich hab das wirklich nicht gewusst … Mein Vater ist richtig in Rage gekommen, während er erzählt hat … Ich hoffe, ich kann dir den Inhalt seiner Worte ungefähr wiedergeben … Hmkm. Also, Fo č a war vor dem Krieg eine fast zu gleichen Teilen von Muslimen und Orthodoxen bewohnte Stadt gewesen. Daneben gab es eine kleine Minderheit von Kroaten und dem für den Balkan üblichen Völkergemisch. Wie überall in Bosnien bestand ein friedliches Mit- und Nebeneinander – man lebte ja nicht erst seit ein paar Jahren im selben Ort.»
    Ich hörte Adnan Luft holen.
    «Heute ist Fo č a in Srbinje umbenannt und liegt in der Republika Srpska, was bedeutet, dass dort praktisch keine Muslime mehr leben … Gleich zu Kriegsbeginn wurde die Stadt von der bosnisch-serbischen Armee eingenommen. Was dann geschah, ist meinem Vater nur mit Mühe über die Lippen gekommen. Du musst wissen, das waren meistens keine regulären Streitkräfte, die dort am Werk waren, sondern irgendwelche paramilitärische Verbände aus Serbien und Montenegro und die örtlichen serbischen Milizen. Jeder Lokalkommandant schaltete und waltete, ohne an irgendein Gesetz gebunden zu sein … In Fo č a also wurden Lager für muslimische Frauen und Mädchen eingerichtet. Während Monaten wurden sie dort gefangen gehalten. Man hat sie auf jede erdenkliche Art gedemütigt. Zwölfjährige Mädchen wurden vor den Augen ihrer Mütter vergewaltigt, oft von mehreren Soldaten nacheinander …»
    Stille.
    «Ich kann dir gar nicht … Es ist … Die meisten Bosniaken waren ja nicht besonders religiös … Aber stell dir vor, was es für eine Muslima bedeutet, so was über sich ergehen zu lassen – ich meine, es ist für jede Frau schlimm, aber für eine Muslima … Diese Frauen scheuen sich, darüber zu sprechen. Bis heute laufen ihre Peiniger frei herum, sie begegnen ihnen auf den Strassen – kannst du dir das vorstellen? … Sorry, aber es hat mich ziemlich aufgewühlt, ich möchte so was am liebsten gar nicht wissen. Ich bin Schweizer, ich möchte die Gewissheit haben, unter anständigen Menschen zu leben. Ich hoffe, dass ich dir damit helfen konnte … Sorry … Meld dich mal wieder.»
    Ich legte den Hörer auf und steckte mir eine Zigarette an. Draussen regnete es weiter.
    Ich hatte Adnan noch nie weinen gesehen. Schwer vorzustellen, dass es mich betroffener gemacht hätte, als dieser seiner stockenden Stimme zu lauschen.
    Im Treppenhaus wurde gehustet. Ich hörte Stimmen und Schritte. Nachdem ich die Zigarette ausgedrückt hatte, ging ich ins Wohnzimmer. Ich verkabelte meinen Laptop, zog den Telefonstecker aus der Dose und steckte stattdessen den Internetstecker in die Öffnung. Dann startete ich das Gerät.
    Nach mehreren Anläufen fand ich die Webseite des Haager Kriegsverbrechertribunals. Mit hektischem Knistern und unsinnig zuckenden Zahlenreihen am unteren Bildschirmrand begann

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