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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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eigenständige Erzählungen wie etwa «Buffet ‹Titanic›», das an die jüngsten Ereignisse errinnerte, obschon es während des Zweiten Weltkriegs spielte. «Brief aus dem Jahr 1920» kam mir ebenfalls bekannt vor. Ich schlug nach und sah die Zeilen durch. Ich erinnerte mich – es handelte sich um die zufällige Begegnung zweier einstiger Schulfreunde auf einem nächtlichen Bahnhof. Und hier war es auch, das zentrale Zitat in den Drohbriefen: «Ja, Bosnien ist ein Land des Hasses.» Ich blätterte zurück und überflog die Abschnitte, um mir den Ablauf in Erinnerung zu rufen.
    Plötzlich stutzte ich. Womöglich hätte ich darüber hinweggelesen, wenn ich nicht vor wenigen Stunden die Briefe noch einmal studiert hätte. Es war der letzte Satz eines sechszeiligen Abschnitts, ein Teilsatz nach einem Strichpunkt: «Nun warteten wir auf die ungewisse Ankunft des Belgrader Zuges.» Ein weiteres Briefzitat, aber darin war eine Änderung vorgenommen worden: Statt Belgrad stand dort der Name einer anderen Stadt. Ich konnte ihn mir nicht in Erinnerung rufen, aber ich wusste, dass es sich um den Namen einer mir unbekannten Stadt handelte. Mein Puls ging schneller. Eine verschlüsselte Botschaft! Bisher war mir der Gedanke, die Briefe könnten ausser der Ankündigung des Mordes und seiner Ausführung noch eine weitere Mitteilung enthalten, gar nicht gekommen. Fiebrig begann ich die Zeilen durchzusehen – vielleicht würde ich noch andere Zitate finden. Ich hielt mich dabei besonders an die Anfangsund Schlusssätze der Abschnitte. Bei «Buffet ‹Titanic›» wurde ich erneut fündig, zweitletzter Absatz, die letzten zwei Zeilen: «… er zielte ungefähr in die Richtung, wo Mento stand, und – drückte ab.» Auch hier gab es im Zitat eine Abweichung – Mento war durch einen anderen Namen ersetzt worden.
    Verdammt, warum war ich nicht früher darauf gekommen. Ich schob das Buch zurück ins Bücherregal und verliess lautlos die Wohnung.
    Zu Hause angekommen, machte ich mich gleich an die Arbeit. Ich nahm alle Bücher hervor, die ich von Andri ć besass. Das waren die beiden weltberühmten Romane «Wesire und Konsul» und «Die Brücke über die Drina», dazu noch zwei Zusammenstellungen, die eine mit frühen, eher unbekannten Erzählungen, die andere mit den klassischen, die zum Teil auch im Suhrkamp-Taschenbuch enthalten waren. Natürlich lauteten einige der Sätze in der deutschen Übertragung etwas anders, als sie Adnan übersetzt hatte.
    Ich konnte alle Zitate bis auf zwei ausfindig machen. Bei den folgenden drei Sätzen war jeweils eine Änderung vorgenommen worden: «… nun warteten wir auf die ungewisse Ankunft des Zugs nach Belgrad», «Er zielte ungefähr in die Richtung, in der Mento stand, und drückte ab» und «Fra Marko konnte nicht sprechen, da sein Mund voll Blut war …». Belgrad war durch Fo č a, Mento durch Vukovi ć und Marko durch Radomir ersetzt worden. Vor allem Letzteres hätte mir auffallen sollen – Radomir war nun wirklich kein Name für einen katholischen Mönch. Die drei Worte Fo č a, Vukovi ć und Radomir also waren die verschlüsselte Botschaft. Nur, was hatte sie zu bedeuten? Vukovi ć war klar – ein Familienname, Radomir würde wohl ein Vorname sein, und da Belgrad durch Fo č a ersetzt worden war, schloss ich, dass eine Ortschaft so hiess. Vielleicht bedeutete es: Radomir Vukovi ć aus Fo č a. Ich griff zum Hörer und stellte die Nummer von Adnan ein. Bevor die Combox kam, legte ich auf. Ich ging duschen und zog meinen Pyjama an.
    Gerade als ich Zahnpaste auf die Borsten gab, klingelte das Telefon.
    «Ja?»
    «Du bist aber früh auf heute!»
    «Ich hab die Nacht durchgemacht, wenn dus genau wissen willst.»
    «Frauengeschichten?»
    Adnan musste einen sechsten Sinn haben.
    Ich wollte es kurz machen: «Merci, dass du zurückrufst. Kannst du dich noch an die Briefe erinnern, die du im ‹Central› übersetzt hast?»
    «Die Andri ć -Zitate?»
    «Genau. Sie enthalten eine verschlüsselte Botschaft.»
    «Ich hab gedacht, der Fall sei abgeschlossen.»
    «Ja schon, aber hör nun. Sie lautet: Radomir Vukovi ć aus Fo č a. Sagt dir das was?»
    «Radomir Vukovi ć ? Nicht, dass ich wüsste.»
    «Und Fo č a? Ist das eine Ortschaft?»
    «Mhm, eine Stadt in Südostbosnien, meine Mutter hatte Verwandte in der Nähe, warum?»
    «Ich weiss es selber nicht. Nur so eine Vermutung. Könnte diese Stadt eine Rolle im Krieg gespielt haben?»
    «Uh, da überfragst du mich. Du weisst, dass ich mich

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