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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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wird.»
    Ich ging zu Wasser über, während sich Anita ein zweites Bier nahm.
    «Warst du eigentlich oft unten?», fragte ich nach einer kurzen Pause.
    «Wo unten?»
    «Auf den Philippinen meine ich …»
    «Die Philippinen liegen nicht unten, die liegen östlich!», sagte sie belustigt.
    «Da hast du allerdings recht …»
    Da Anita mir eine Antwort schuldig blieb, sagte ich: «Und?»
    «Was und?»
    Ich schien sie aus einer Überlegung herausgerissen zu haben.
    «Warst du öfter auf den Philippinen?»
    «Noch nie.»
    Ich schwieg.
    «Erstaunt dich das?»
    «Ja, doch, ich fand, du hättest diese Art gut drauf gehabt.»
    «Kennst du dich denn aus mit ‹dieser Art›?»
    Ich räusperte mich. «Ich hab eine Vorstellung davon.»
    «Siehst du, ich konnte mir vorstellen, wie du dir eine philippinische Nachtklubtänzerin vorstellst.»
    Wir lachten.
    «Schade nur, dass ich dich gar nicht richtig besichtigen konnte – während deiner Heidishow.»
    «Weshalb denn nicht?»
    «Weil ich mich beobachtet fühlte! Du hast mich die ganze Zeit fixiert! Ich wagte nicht, meinen Blick von deinen Augen zu wenden.»
    Anita brach in plätscherndes Lachen aus.
    Nachdem sie mich durch die Dreizimmerwohnung geführt hatte, ging ich auf den Balkon eine Zigarette rauchen. Als Anita plötzlich hinter mir stand und ihre Arme um mich schlang, war es wie ein Gedanke, der die Wirklichkeit vorwegnahm. Ich spürte ihre linke Wange, die sich an meinen Hals schmiegte.
    «Weisst du, ich hab während der Führung vergeblich nach den Illustrierten Ausschau gehalten.»
    Sie lachte: «Weil ich die immer gelesen hab? Das hat zu meiner Rolle als Nachtklubtänzerin gehört, hast du das nicht begriffen?»
    Ich überliess die Zigarette mit einem Schnipsen dem Gesetz der Gravitation. Sie glühte wie eine Sternschnuppe, während sie eine spitzbogige Bahn beschrieb. Als sie auf dem Asphalt aufschlug, zerstob die Glut nach allen Seiten. Dann drehte ich mich langsam um, ohne mich aus Anitas Umarmung zu lösen.
    Ich hielt die Augen offen und fixierte den Schatten, den das Fensterkreuz mit Hilfe der Strassenbeleuchtung an die Decke warf. Anitas Gesicht auf meiner Brust, ihr linker Arm angewinkelt, die Hand auf meiner Schulter. Es fühlte sich gut an. Ihr Haar kitzelte ein wenig am Kinn, störte aber nicht weiter. Ich lauschte ihrem Atem, der leicht und regelmässig ging. War sie eingeschlafen?
    Ich schloss die Augen. Die starken Gefühle, die sich eben noch auf meine Magengegend beschränkt hatten, fluteten meinen Kopf. Gerade noch rechtzeitig schlug ich die Augen auf. Ich hatte den Schlaf kommen sehen! Er kam tief aus meinem Inneren und war rasend schnell! Nun war mir auch klar, weshalb man sein Eintreten normalerweise nicht bemerkte. Auf einmal war ich hellwach. Ich wusste, und gerade zuvor hatte ich es gefühlt: Ich würde mich blödsinnig verlieben, wenn ich nun einschliefe. Wenn ich am nächsten Morgen neben Anita aufwachte, würde es um mich geschehen sein. Es war viel zu schön, es fühlte sich viel zu schicksalhaft an, als dass ich anders empfinden könnte.
    Behutsam schlüpfte ich unter ihrem Oberkörper hervor, stand auf und zog mich an. Ich betrachtete Anita, ihren sehnigen Arm, der Ansatz ihrer linken Brust, die Mulde zwischen den Schulterblättern, ihr schlafendes Profil mit den schwarzen, glatten Haaren. Ich war froh, dass ich aufgestanden war. Sie mochte mit so was vielleicht umgehen können.
    Ich zog leise die Tür hinter mir zu und ging auf den Balkon. Das Rauchen half mir, mein Gleichgewicht wiederzugewinnen. Gefestigt und mit einem Glas Wasser in der Hand stand ich kurz darauf im Wohnzimmer. Die erste Zugverbindung hatte ich in einer guten Stunde. Ich wollte die Wohnung verlassen, bevor Anita etwas merkte.
    Ich trank und sah mir ihr Bücherregal an. Kreuz und quer durch die Literaturgeschichte und auch einiges, was nicht gerade Kanon war. Ich zog das eine und andere Buch hervor, las und blätterte darin, um auf Notizen oder andere Lesespuren zu stossen. Mein Blick fiel auf den schmächtigen, grünen Rücken eines Suhrkamp-Taschenbuchs. «Andri ć : Liebe in einer kleinen Stadt.» Ich zog den schmalen Erzählband hervor. Eine Ausgabe aus dem Jahr 1996, untertitelt mit «Jüdische Geschichten aus Bosnien». Ich kannte einige der Erzählungen aus anderen Zusammenstellungen. Manche wie «Lottika» oder «Mordo Atijas» waren Kapitel aus seinen grossen Romanen «Wesire und Konsul» und «Die Brücke über die Drina». Daneben fanden sich auch

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