Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
silbrigen Mondlichtaugen.
»Okay, das sind die wichtigsten Punkte gewesen. Jetzt küss ich dich.«
Er nimmt die Hand von meinem Mund und küsst mich.
Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt, von Jack geküsst zu werden. Von ihm berührt zu werden. Von ihm festgehalten zu werden. Das Wilde daran. Die Sanftheit. Das Kribbeln am ganzen Körper, als ob mich gleich ein Blitzschlag treffen würde. Wie wir zusammenpassen. Brust an Brust. Hüfte an Hüfte. Als ob wir füreinander geschaffen wären. Er macht mich lebendig. Er lässt mich atmen. Er ist der offene Himmel und der weite Raum.
Jetzt wo ich hier bin, bei ihm, kann ich nicht fassen, dass ich bei DeMalo gelegen hab. Dass ich mich ihm aus freien Stücken hingegeben hab. Jack hat mich nie betrogen. Ich hab ihn betrogen.
Keiner ist so, wie ich gedacht hab. Nichts ist so, wie ich’s mir gedacht hab. Nichts ist so, wie ich’s mir vorgestellt hab.
Tränen laufen mir über die Wangen. Er wischt sie mit dem Daumen weg. Küsst sie weg. Das macht es nur schlimmer. Ich schlag ihn auf die Brust. Mit Wucht. Ich leg die Stirn an seine. »Verdammt nochmal, Jack.«
Ein leises Klopfen an der Tür. Maev kommt rein. »Tut mir leid«, sagt sie. »Zeit abzuhauen.«
»Komm jetzt weg von hier«, sag ich. »Komm mit uns. Wir helfen dir abzuhauen. Tu wenigstens das.«
Er schüttelt den Kopf. »Ich hab noch was zu erledigen.«
»Was denn?« Ich wisch mir mit dem Ärmel über die Augen.
Er lächelt. »Du gefällst mir in dem Kleid.«
»Bitte, Jack«, flüster ich.
»Ab mit dir«, sagt er.
Mir bricht das Herz. Ich hör es brechen. Ich spür es.
Ich setz mich aufs Fensterbrett. Pack das Seil. Wir gucken uns an, zum letzten Mal.
»Wiedersehen, Saba«, sagt er.
»Du Mistkerl«, sag ich.
Ich dreh mich um. Und ab geht’s.
I ch lass mich ein paar Griffe runter. Dann halt ich an. Immer noch ganz nah. Ich könnte zurückklettern. Mich von ihm überzeugen lassen. Ihm sagen –
Ich klammer mich ans Seil. Leg den Kopf an die Hände und kneif die Augen zu. Ich werd nicht weinen. Ich werde nicht weinen. Unter mir zieht jemand am Seil. Ich guck runter. Creed winkt, ich soll mich beeilen.
Nein. Er hat seine Wahl getroffen, und sie ist nicht auf mich gefallen. Eine Welle der Kraft, der Entschlossenheit fährt durch mich durch. Ich kletter weiter nach unten auf das Boot zu. Jetzt beweg ich mich schnell. Zu schnell. Durch meine ruckartigen Bewegungen fängt das Seil an zu schwingen. Ich schwing vor und zurück und dann – ich fass es nicht – direkt auf die geschlossenen Fensterläden vor einem Fenster im zweiten Stock zu. Die Schlafquartiere. Ich schwing genau auf die Fensterläden zu und prall mit einem lauten Krachen dagegen. Ich erstarr an meinem Seil, während es zurück über den See schwingt.
Die Läden fliegen auf. Krachen gegen den Stein, dass es laut durch die Nacht hallt. Ein Tonton blinzelt mich verschlafen an. Gerade aufgewacht. Ein großer dicker Bursche.
Ein schneller Blick nach unten. Zu tief zum Springen. Ich hab keine Wahl.
»Klopf, klopf«, sag ich.
Ich schwing auf ihn zu, mit den Stiefeln voran, die Beine steif ausgestreckt, und treff ihn mitten auf die Brust. Er taumelt nach hinten in den Raum. Eine Schlafzelle. Ich spring hinter ihm her. Er will sich hochrappeln und schreit um Hilfe. Ich spring auf ihn zu und tret ihn mit dem ausgestreckten Bein unters Kinn. Er wirbelt rum, seine Arme fliegen in die Luft, und er knallt mit dem Gesicht gegen die Wand. Er fällt auf den Rücken, ist außer Gefecht.
Ich spring über ihn weg, mach die Tür auf und renn zur nächsten Treppe. Hinter mir hör ich, wie andere Zellentüren aufgehen und gegen die Wand knallen.
»Ein Mädchen!«, schreit jemand. »In einem roten Kleid!«
Als ich zur Treppe komm, kommt Jack mir schon von oben entgegen, Maev ist dicht hinter ihm. »Runter!«, sagt er. »Bis ganz unten!«
Überall knallen Türen gegen die Wand. Überall Geschrei. Füßegetrampel. Laute Rufe: »Eindringlinge!«
»Einen Kampf können wir uns nicht leisten«, sagt Jack. »Unten haltet euch links.«
Hinter uns sind Schüsse zu hören.
Wir rennen den Gang auf der Küchenebene lang. Ducken uns unter Tabletts durch, werfen Jungen mit Töpfen um. Verdutzte Gesichter drehen sich zu uns um. Sklaven, keine Tonton. »Bleibt, wo ihr seid!«, brüllt Jack sie an.
Wir stürmen durch eine Tür nach draußen. Wir sind auf der Seeseite. Genau vor uns ragt ein langer Steg raus übern See. Der Landesteg. Und da sind lauter
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